Werner Bätzing hat gerade eine umfassende Mensch-Umwelt-Geschichte vorgelegt. Unsere Gattung tritt darin titelgebend als ein Clan von Zerstörern
auf. Der Zustand der Natur und der miserable Umgang des Menschen mit ihr stehen im Vordergrund. Die so faszinierende wie universale Welterzählung, welche der Autor auf 462 Seiten entwirft, schöpft aus vielen Wissensgebieten. Sie ist – bei aller inhaltlichen und intellektuellen Komplexität – in einfacher Sprache verfasst. Die Hypothesen sind mutig und klar. Eine davon lautet, zugespitzt: Mit der Geschichte der Stadt beginnt die Geschichte des Krieges und auch die des Raubbaus an der Natur. Eine andere klingt so: „Um die drohende Zerstörung der vom Menschen geprägten Welt zu verhindern, ist es nötig, dass wir einen Schritt zurückgehen und die vormodernen Erfahrungen wieder stärker berücksichtigen“.
Bätzing startet quasi vor acht Millionen Jahren, streift den Homo sapiens, analysiert Selbstvorsorge und Überschusswirtschaft, vergleicht Jäger und Sammler mit Bauernkulturen und den ersten Großsiedlungen vor 3000 Jahren, bewertet, welche Bedeutung das Auftauchen von Demokratie, Schrift, Münzen oder Schulden zur Zeit der griechischen Polis hatte. Und so fort.

Was das alles mit den Alpen zu tun hat? Nun, der Autor ist seit fast 50 Jahren in erster Linie Alpenforscher. Er lehrte als Kulturgeograf an den Unis Bern, Wien und Erlangen-Nürnberg. Viele Erkenntnisse hat er zwischen den Gipfeln von Slowenien bis Südfrankreich, hauptsächlich aber in der Schweiz, gewonnen. Sie speisen dieses Buch, das der C. H. Beck Verlag als Opus magnum preist. Hier zwei von Bätzings hochaktuellen Befürchtungen über die Alpen, die der Experte uns gegenüber vor Kurzem am Telefon geäußert hat: „Eines der größten Probleme ist die Verstädterung der Alpengemeinden. Beispiel Davos – dort lebten um 1900 noch 80 Menschen. Jetzt sind es 12 000. Und jeden Winter kommen 50 000 Touristen dazu.“ Oder: „Seit China angekündigt hat, seine Bevölkerung an den Skisport heranzuführen, ist unter 300 Skigebieten in den Alpen ein Verdrängungswettbewerb um den asiatischen Markt entstanden. In der Schweiz sieht man längst die Auswirkungen: Neue Seilbahnen in Grindelwald, am Kleinen Matterhorn, an Rigi, Titlis, Pilatus. Überall wird ausgebaut. Ein riesiger ökologischer Fußabdruck. Dabei ist Skisport in Europa eigentlich ein schrumpfendes Feld.“
Mit Homo destructor legt der 74-jährige Wissenschaftler, der heute in Bamberg lebt und ein Archiv für integrative Alpenforschung pflegt, gleichsam nebenbei eine elegante Kapitalismuskritik vor. Die meisten Mechanismen der liberalen Wirtschaftskreisläufe werden darin von ihm komplett in Frage gestellt. Etwa wenn er geistlos-repetitive Tätigkeiten von heute mit solchen von früher vergleicht – und daran erinnert, dass bei uns zu deren Bewältigung in der Frühzeit der Industrialisierung unfreie Menschen aus Gefängnissen, Waisenhäusern etc. zwangsrekrutiert wurden. (Und in den vielen, tendenziell gerade einer wachsenden Zahl von Erdbewohnern imponierenden Autokratien ist das noch immer so.) Einen Kardinalfehler sieht Bätzing in der weitgehenden Aufhebung von Gemeineigentum (wie der Allmende): Zuerst im Römischen Recht, später in Gesetzestexten, Erlassen, Bewegungen der Renaissance oder Aufklärung – und bis zu uns heute. Sie sind Beispiele für gesellschaftliche Umbrüche zum Nutzen einzelner Gruppen, unter denen aber die Mehrheit zu leiden hat. Und mit ihr leidet die Natur, die seit Entstehung dieser Weltsicht vor allem als Ressource und als Material zur Überschussproduktion betrachtet wird. Ein fast zu stilles Buch! Manchmal lieber zurückrudern zu den Anfängen? Nach dieser Lektüre besteht kein Zweifel mehr: Für Mensch und Natur wäre es gut.
Text & Fotos: Alexander Hosch
Werner Bätzing, Homo destructor. Eine Mensch-Umwelt Geschichte. Von der Entstehung des Menschen zur Zerstörung der Welt, C. H. Beck Verlag, 32 Euro
Auf Streifzügen durch die Prosecco-Hügel lohnt sich immer auch ein Abstecher nach Possagno. Dieser am Fuße des Monte Grappa im nördlichen Veneto gelegene Ort gehört ganz und gar Antonio Canova, der 1757 hier geboren wurde. Und seit 1957 auch ein bisschen Carlo Scarpa.

Ganz anders die weiblichen Figuren, für die Canova eine weit poetischere Sprache fand. Die Drei Grazien liebkosen sich in einer einzigen fließenden Bewegung. Und wenn Psyche mit spitzen Fingern auf Amors Handfläche einen Schmetterling setzt, wird der Mythos mit einem Mal greifbar und lebendig.
Mitte der 1950er-Jahre betraut man den 1906 in Venedig geborenen Architekten Carlo Scarpa mit dem Erweiterungsbau der Gypsotheca. Er befreit die Skulpturen, zumindest einige von ihnen, aus ihrer Totenstarre, indem er mit Helligkeit, Heiterkeit und Leichtigkeit interveniert. Seine aus den Ecken des Annex in den Raum ragenden Quaderfenster, Splitlevel und Wasserbecken lassen das Museum behaglich erscheinen – und zugleich lush wie eine kalifornische Villa. Amor, Psyche und viele andere Schönheiten baden und tanzen jetzt im Licht.
Auch Canovas kleine, expressive Terracotta-Modelle, die unerwartet modern anmuten, erhalten in neuen Holzvitrinen endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.
William Turner – immer wieder zog es diesen britischen Maler der Romantik in die Alpen. 1802 unternahm der Spezialist für Wind- und Wettergemälde, der inzwischen längst als Pionier der Abstraktion gehandelt wird, seine erste Reise dorthin.
Eines der beeindruckendsten Landschaftswerke, die Turner in der Schweiz schuf, ist „Niedergang einer Lawine in Graubünden“ von 1810. Seit dem Wochenende ist es, neben 40 anderen Gemälden sowie 40 Aquarellen und Zeichnungen aus allen Schaffensphasen, in der Münchner Schau zu sehen. Für mich ist dieses Bild von vor über 200 Jahren jetzt eines der Meisterwerke im Kunstbau des Lenbachhauses. Die nächsten vier Monate könnt ihr es euch dort anschauen.

Andreas Schumacher, der in der Alten Pinakothek die italienischen Gemälde betreut. „Es wäre bei den Motiven dieser Ausstellung natürlich zusätzlich spannend gewesen, auch diese Details noch herausfinden!“
Gemälde aus der Zeit der venezianischen Renaissance – unbekannte Gipfel auf. Entweder zieren sie als alpine Idealkulisse die sakralen, mythologischen oder aristokratischen Personengruppen. Oft aber bilden sie wohl ganz real die in der Nachbarschaft vorgefundene Natur ab. In der Tat ist Venedig von den Dolomiten ja nicht viel weiter entfernt als München von der Zugspitze. Und so wie sich bei uns an klaren Tagen nicht selten eine Alpenkulisse hinter der Stadtsilhouette abzeichnen kann, lassen sich unweit der Serenissima an Tagen mit günstigem Wetter zuweilen die Marmolata oder Teile der Dolomitenkette erblicken. Jedenfalls, wenn man nicht nur auf die Kirchen und in die Wasserwellen der Kanäle schaut.





Ein nagelneues Buch von Polyglott aus dem Verlag Gräfe und Unzer untersucht jetzt die spannendsten kleinen und großen Skigebiete Europas nach Aspekten der Nachhaltigkeit. Wo führt die Bahnlinie bis ins Ortszentrum oder sogar direkt an den Skilift? Welche tollen Plateaus und Pisten in den Alpen müssen überhaupt nicht künstlich beschneit werden? Wer verbannt Verbrennerautos erfolgreich aus seinem Skidorf? Und welcher Hotelier oder Gastwirt bietet seinen Gästen ausschließlich Verpflegung von den Erzeugern gleich nebenan auf dem Teller? 30 alpine Orte und Ski-Terrains zwischen Südtirol, den französischen und Schweizer Alpen, in Tirol, im Allgäu und im bayerischem Oberland werden von sieben aus FAZ, F.A.S. und SZ bekannten, die Natur und den
Skisport liebenden Reisejournalisten auf ihre Qualitäten geprüft. Alexander Hosch, einer der Mitbetreiber unseres alpinen Spezialblogs, war dabei und hat drei Texte über die hochgelegenen Pistenareale
Einmal im Monat, immer am letzten Freitag um 16 Uhr, öffnet bei freiem Eintritt das Format Open Haus in der Mittelhalle im Haus der Kunst. Gute Gelegenheit für Besucher:innen, die genau dann in den nächsten Monaten in
lassen. In verschiedenen handwerklichen und industriellen Verfahren sind sie, teils bei der italienischen Firma Alpi, teils in Gampers Londoner Studio, aus Furnieren und Holzresten hergestellt worden. Sie erinnern einerseits irgendwie an die dramatischen und in Auktionen immer sündteuren Möbel von Carlo Bugatti aus der Zeit um 1900. Und ein bisschen an sperrige Alltagsmöbel aus dem Baumarkt, denen jemand im Überschwang zu viele verschiedene Farben, Formen und Materialien verpasst hat.
Alberto Giacometti im Münchner Umland – und dann gleich mit rund 100 Exponaten! Das ist ein ziemlich guter erster Aufschlag, den Annette Vogel, die neue 
Bronzeskulpturen mit den doppelten Sockeln, einige Gemälde, viele Zeichnungen, Litho- und Fotografien aus den 1930er bis 1960er Jahren die drei verwinkelten Etagen. Der Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti (1901-1966), der mal den Surrealisten, dann wieder mehr den Existenzialisten nahestand, hat sie alle geschaffen. In Paris, wo er fünf Jahrzehnte sein Atelier hatte. Und der Sammler Helmut Klewan, einst Galerist in Wien und München, in Penzberg jetzt der einzige Leihgeber, hat diese Schätze früh für sich erworben. In der Tat ist Giacomettti heute einer der berühmtesten und teuersten Künstler des 20. Jahrhunderts.
Nicht vergessen werden darf, dass hier auch ein Gruß von den südlichen Alpen an die nördlichen Voralpen ergeht: Giacometti (li. mit seiner Mutter) wuchs als Spross einer Künstlerfamilie im Graubündner Hochtal Bergell auf. Seine Arbeiten bleiben nun einen Sommer lang im bayerischen Oberland: Unter den breiten Schultern der 1801 Meter hohen Benediktenwand.
Ausstellung „Alberto Giacometti – Mensch und Raum – Aus der Sammlung Klewan“ / Museum Penzberg Sammlung Campendonk / Bis 8. Oktober 2023, Di-So 10-17 Uhr / museum-penzberg.de . – Aus München braucht man über die Autobahn 45 Minuten. Die Bahn fährt stündlich. Der Fußweg vom Bahnhof zum Museum dauert 10 Minuten.
Auf dem Kolovrat-Kamm herrscht Stille. Nur das Gurren eines Birkhuhns wird vom Wind herübergetragen. Unter den blaugrauen Wolkenmassen breitet sich eine Landschaft aus, die sich auf der einen Seite über das slowenische Soča-Tal bis zum Triglav-Massiv und auf der anderen Flanke bis zur Adriamündung dieses Flusses zwischen Grado und Monfalcone erstreckt. Isonzo heißt die Soča auf italienischem Boden.






Übertrieben wäre es, in diesen feucht-trüben Tagen davon zu schwärmen, dass auch hinter unserer neuesten Trouvaille wieder fern und
Wie schön, dass nun aber offenbar ein großer und weiser Kopf dieses Monument zum 10-jährigen Leakjubiläum, das neue Münchner Mahnmal, bei Invader bestellt hat! Ach, das waren gar nicht unsere Politiker? Wie zu hören ist, initiierte der nach Banksy bekannteste Street Artist die Aktion in München selbst – incognito und ohne Auftrag oder
Erlaubnis. Der Künstler, der seit fast 30 Jahren guerillamäßig die Großstädte der Welt bereist und mit seinen verpixelten frühen Computerwesen bestückt, hat nun lauter Werke ins Stadtbild gezaubert, die kongenial mit dem Genius Loci spielen: Brezn und Münchner Kindl am Sendlinger Tor. Pac-Man, der sich eine Mass Bier schnappt, an der Fassade des
Lindwurmstüberl. Ein Regenbogen an der Thalkirchnerstraße. Ein „Brezen-Invader“ am Partyschiff Alte Utting. Motive an einem Blumenstand des Viktualienmarkts, im Westend und rund um die Donnersberger Brücke.
Vermutlich in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag sei Invader in München gewesen, mutmaßt das Bayerische Fernsehen. Anfang Mai habe der Mann, der sich einst nach dem Achtzigerjahre-Computerspiel „Space Invader“ benannte, dann mit Spezialkleber seinen Snowden auf die Hauswand am Altstadtring aufgetragen, brachte die FAZ in Erfahrung. Wie dem auch sei. Wir halten diese sympathische Disruption für die beste Münchner Kunst-Idee seit langem. Man könnte jetzt doch einfach aus der Situation Gewinn ziehen und das geschenkte Bild zum Beispiel nächste Woche feierlich als Denkmal für die Demokratie enthüllen.
umgehen. Zwar ist Edward Snowdens Fliesenkonterfei, übrigens auch eine nicht ganz unvirtuose Handwerkskunst, inzwischen von einem Werbeplakat verdeckt worden. Die Veranstaltung ist aber schon vorbei. Den Lappen kann man also ohne Schaden wieder abmachen. Und so dem Hauptwerk der zur Zeit besten und wichtigsten Münchner Kunstausstellung den Platz einräumen, den es verdient.


Warum man immer dran vorbeifährt: Die Sonne scheint. Man hat die Skischuhe an. Und der Ski-Bus, der einen zu den Liften der sonnenüberfluteten Frühlingshänge von Isola 2000 in den Südalpen bringen soll, will am surreal vorbeiwischenden Stadion einfach nicht anhalten. Obwohl der Fahrer schon seit einer Minute von allen Seiten gerüttelt und geschüttelt wird …
Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss: Um zu verstehen, wie so ein klimaneutrales Stadion für 35.000 Menschen funktioniert. Die Arena von Nizza liegt in einem ausgewiesenen Ökogebiet, dem sogenannten Eco Vallée. Man kann es sehr einfach auch ohne Auto erreichen. Die 4000 Solarplatten auf dem Dach erzeugen mehr sauberen Strom als das Stadion von Architekt Jean-Michel Wilmotte selbst verbraucht. Der Hybridbau aus Stahl, Holz und Beton schafft mit diversen Umweltgimmicks sogar Plusenergiestandard. Und im integrierten nationalen Sportmuseum, das ein bisschen wie „unters Stadion geschoben“ aussieht, gibt es sogar eigene Programme für Babys und für Kleinkinder. Momentan und noch den ganzen Sommer über bereitet die zusammen mit dem Louvre erarbeitete Schau „Victoires“ die Besucher schon auf die Olympiade 2024 in Paris vor.
Die transluzenten ETFE-Module der Fassade erinnern übrigens ein wenig an die Münchner Allianz Arena von Herzog & de Meuron, die den selben Sponsor hat. In Nizza sind die einzelnen Kunststoffpaneele aber nicht wie Rauten geformt. Und alle zusammen sehen dort wie eine riesige Welle aus Schaum und Wasser aus. Naja, dieses Stadion wogt ja auch quasi direkt neben dem Mittelmeer.