Gesicht der Erinnerung

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Heimlicher Alpenfilm #22

Was ist, wenn die Menschen, die man zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Leben liebt, eigentlich immer ein und dieselbe Person sind? Das fragt sich die Hauptdarstellerin von Dominik Grafs Fernsehfilm Gesicht der Erinnerung. Manches darin erinnert an die Totenwelt-Psychologie in Alfred Hitchcocks Vertigo, anderes an Krzysztof Kieslowskis Drei-Farben-Trilogie. Zeiten verschwimmen, Menschen auch. Szenen von jetzt – wie eine ganz normale Autofahrt – werden zu Flashbacks.

Christina (großartig: Verena Altenberger) hatte mit 16 Jahren eine große Liebe, den verheirateten Jacob (Florian Stetter), der bei einem Unfall stirbt, den sie seither aber immer wieder sucht. Neuanfänge werden zu Déjà-vues für sie, Christina verfängt sich zwischen Alkohol, Tabletten, Vorstellungen und Verzweiflung. Nun, 20 Jahre später, scheint sie auf Jacobs Wiedergänger zu treffen: in der Gestalt des jungen Patrick (Alessandro Schuster), der sie nachts mit seinem Auto vor einem Gewitter rettet. Tabula rasa – ein Schluss mit dem Gestern! – wäre wohl die Rettung für Christina. Aber das scheint unmöglich. Alles – Worte, Taten, Gesten, Andeutungen, Merkmale von Sprache und Charakter – führt sie geradewegs in eine Zukunft, die die Vergangenheit ist.

Der 89-Minüter wurde vergangenen Juni in der Sektion Neues Deutsches Fernsehen auf dem Filmfest München uraufgeführt und Anfang 2023 schon in der ARD gezeigt. Wie es dem Filmregisseur Dominik Graf bei TV-Ausflügen immer wieder gelingt, biederen deutschen Sonntagabend-Fernsehroutinen zu entfliehen, etwa in seinen Tatort– oder Polizeiruf-Folgen, ist großer Genuss. Auch hier. Alte Verhängnisse und neue Vermutungen übernehmen schnell das Zepter. Die eigentliche Handlung bleibt ein sanfter Strom im Hintergrund. Und Verena Altenberger, die schon ein paar Mal Grafs Polizeiruf-Kommissarin war, irrlichtert dazwischen. Mit klarem Blick, aber mit unklarem Sinn.

Das eindrückliche Mystery-Spiel läuft vor der Silhouette Salzburgs ab, das neben dem nahen Sankt Johann im Pongau und einzelnen Berglandschaften seinen Platz als charmante Alpenhauptstadt einnimmt. Ein paradiesischer Sommerwald spielt eine Rolle. Eine Schlucht und ein kleines Bergdorf in Italien werden spät ein kurzes, zweites Zentrum dieser paranormalen Filmstory. Drehorte dafür hatte man natürlich rund um die Salzachstadt genug, man fand sie daneben aber auch in Bayern und Tirol. Der Zuschauer fühlt sich definitiv immer wieder mehr an alte Autorenfilme erinnert als an aktuelle Beziehungsdramen, und das ist sehr gut so. Oder an die Romane von Max Frisch, in denen oft Menschen von früher in Leuten von später auftauchen oder aufzutauchen scheinen. Bis die Personen durch das raffinierte Identitätswirrwarr restlos im Nebel zwischen Fantasie und Wirklichkeit verschwunden sind. Die Realität ist eben auch nur ein Vorstellung.

Text:  Alexander Hosch

Gesicht der Erinnerung von Dominik Graf, 2022. Die Produktion des SWR mit dem Österreichischen Rundfunk für das Erste ist bis 8. Mai in der ARD-Mediathek abrufbar. Bis 12. Februar 2024 läuft sie als Angebot des Digitalprogramms One. 

https://www.ardmediathek.de/video/filmmittwoch-im-ersten/gesicht-der-erinnerung/das-erste/

Schwarz wie Schnee

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Heimlicher Alpenfilm #21

Die Landschaft ist tiefgekühlt. Es schneit dicht. Die Kamera der Anfangssequenz zieht einen eleganten Schwenk über Fluss, Felsen, Schnee. Und landet dann mitten in der weißen Wüste auf dem erfrorenen Gesicht einer Frau. Sie schlägt die Augen auf.

Schlussszene aus dem Film: Das Ermittlerduo Andreas und Constance im tiefen Schnee.

Tod oder Täuschung im französischen Winter? Ein doppelbödiger Film beginnt. Bald geht es um Serienmorde. Da strömen im Geist doch gleich purpurne Flüsse durch die weiße Pracht. Doch die Lage ist anders als für die Schauspieler Jean Reno und Vincent Cassel damals, die im Kassenschlager des Jahres 2000 zwischen Albertville und Grenoble unterwegs waren, also rund 150 Kilometer südlich. Diesmal schwirren die französische Polizistin Constance (Clémentine Poidatz) und ihr Schweizer Kollege Andreas (Laurent Gerra) durch das Grenzgebiet hoch über dem Genfer See. Unmotiviert bis unwillig beginnen sie ihre gemeinsamen Ermittlungen im Nebel und im Schneegestöber. In den eisigen Höhen eines der beliebtesten Skigebiete zwischen Wallis und Haute Savoie wird zuerst die Leiche eines Jugendlichen mit 4 Promille im Blut gefunden, dann werden noch weitere Opfer geborgen. Hängen die Taten zusammen? Sind sie in der gleichen Nacht geschehen? Aus demselben Grund? Bald wird klar: Die Sache hat mit einem Skiteam zu tun, das vor 20 Jahren den Nationalkader bildete. Auch Constances verschollene Schwester gehörte ihm an.

Offenbar schlägt die Vergangenheit jetzt neue Wunden. Aber ist der Mörder nun ein durchgeknallter Tourist? Oder doch ein alter Bekannter? Constance und Andreas pflügen in Eric Valettes Thriller von 2021 mit Schneemobilen, Schlittenhunden, Seilen und Steigeisen durch die Hochebenen und über die Klippen. Ansonsten stochern sie lange im Nebel. Die an sich sonnenverwöhnten Skistationen der Portes du Soleil liegen still, düster und grau. Zwei Drehorte waren das traditionelle Dorf Morzine und das futuristische, vom Pariser Architekten Jacques Labro erbaute Avoriaz auf 1800 Metern, beides prominente Skiresorts.

Doch ist dies weder ein Architektur- noch ein Bergfilm. Auch kein Skifahrerfilm. Vielmehr ein atemberaubendes Rachedrama. Die Energien von einst und heute treffen sich wie in einer Schneekugel, sie bilden Kristalle, kein Molekül kann rein oder raus. Und Constance muss Spuren suchen, ob sie will oder nicht. Welche Rolle spielen der Bürgermeister, der Immobilienzar, der korrupte Umweltschützer? Warum stolpern sie und Andreas über ein Absinthversteck und die gefälschten Schadstoffprognosen eines projektierten Wasserparks? Wieso ist die Kältekammer des abgewrackten Fitnessstudios so perfekt intakt? Die Filmerzählung ist sehr schön spannend – und psychologisch solide konstruiert. Langsam schält sich die schreckliche Wahrheit aus dem Plot. Und die Ästhetik baut auf die Bildermacht der krassesten Steilhänge und Felsgründe. Wer von Morzine per Seilbahn mal selbst ins autofreie Avoriaz hinauffährt (was hiermit empfohlen wird), kann diese besondere Landschaft, unweit des Mont Blanc, jeden Winter in ihrer ganzen Dramatik erleben. Das hat der Regisseur natürlich ausgenützt.

Text und Fotos: Alexander Hosch

 

Schwarz wie Schnee, 2021, 85 Minuten, Verleih: Atlas Film Home Entertainment, DVD / Blue Ray ab 12,99 Euro; Streaming wird auf wechselnden Plattformen angeboten.

 

Und schaut doch bitte – nach dem Lesen – noch zu unserem hier verlinkten heimlichen Alpenfilm #7:

https://www.alpine-kultur.com/die-purpurnen-fluesse-2000/

 

Lawinen über Tolzbad

 Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Heimlicher Alpenfilm  #20

Zum Tanzen und Lachen ziehen die Bewohner des fiktiven Alpendorfs Tolzbad die dicken Schaffellvorhänge in ihren verschneiten Häusern zu. Derart groß ist die Furcht, dass bereits durch die geringste Erschütterung eine Lawine in Fahrt gebracht werden könnte. „Wenn der Tod seine Hand ausstreckt, wird alles weiß“, heißt es zu Beginn dieser hochkomischen Heimatgroteske des kanadischen Avantgarderegisseurs Guy Maddin aus dem Jahr 1992. In zauberhaften Papiermaché- und Sperrholz- Kulissen erzählt er die Geschichte einer schönen Witwe mit drei Söhnen.

Der Älteste lebt aus mysteriösen Gründen auf dem Dachboden versteckt. Der Zweitgeborene begehrt die Mutter und wird sich nach ihrer gemeinsamen Liebesnacht vom Berggipfel stürzen. Der dritte Sohn – Jahrgangsbester auf dem örtlichen Butler-Gymnasium – besiegelt das Schicksal der Familie mit seinem empfindlichen Ehrgefühl.

„Lawinen über Tolzbad“ zeigt uns eine Welt, die auf der Couch des Doktor Freud zusammengefiebert zu sein scheint. Hinzu kommen etwas Kitsch und Witz, von Maddin mit einer märchenhaften Bildsprache und der Ästhetik von Zwei-Farben-Technicolor in höhere Sphären gehoben. Er erweist sich dabei als Verehrer expressionistischer Filme wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und des alpinen Stummfilmklassikers „Der heilige Berg“ von Arnold Fanck. Bei Maddin sieht das dann so aus, als wäre in einer Schneekugel gedreht worden. So beengt, so entrückt, so entzückend.

Die Kanadierinnen und Kanadier wissen zum Glück auch heute noch, was sie an ihm haben, diesem Traumwandler durch die Irrgärten des Melodramatischen und feiern Guy Maddin derzeit in Vancouver mit einer Retrospektive.

Text: Alexandra González

DVD „Careful“ (englischer Originaltitel) erhältlich über zeitgeistfilms.com/film/careful

„Celluloid Dreamland: The Cinema of Guy Maddin“, Retrospektive des Kultfilmers vom 26. Januar bis 20. Februar 2023 in The Cinematheque Vancouver, Kanada. Opening Night am 26. Januar in Anwesenheit des Regisseurs.

thecinematheque.ca/series/celluloid-dreamland-the-cinema-of-guy-maddin

Das Netz – Prometheus (Serie, 2022)

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Heimlicher Alpenfilm  #19

Russland, Katar, China – immer öfter werden wichtige Wettbewerbe des internationalen Sports und vor allem des Fußballs von Diktaturen bezahlt, bestimmt oder ausgerichtet. Manchmal sogar alles zusammen. Die entscheidenden Bürostätten der internationalen Kickergemeinschaft dagegen finden sich in der Regel an gemütlichen Orten im sicheren Europa. Am liebsten mitten in den Alpen.

Der Weltfußballverband Fifa etwa. Dessen lichte neue Zentrale liegt auf hehren Höhen in Zürich. Mit majestätischer Weitsicht auf die steinernen Riesen der Schweiz. Und die Uefa, die Union der europäischen Fußballverbände: Sie sitzt in Nyon am Genfer See. Da leuchten vom anderen Ufer täglich Mont Blanc und Co herüber, also Europas absolute Gipfelavantgarde. Beide Orte kommen jetzt in der aktuellen österreichischen Serie „Prometheus“ vor, die rechtzeitig zur Fifa-WM 2022 – als Teil des internationalen TV-Projekts Das Netz – in dieser Woche ausgestrahlt wird. Hinter geparkten Autos und aussteigenden Schauspielern sind sie manchmal als Kulisse zu sehen. Auch die Vedute von Salzburg bekommt einige grandiose Bildschirmmomente.

Der mit Abstand wichtigste alpine Drehort in dieser Serie heißt jedoch Bad Gastein. Der österreichische Darsteller-Superstar Tobias Moretti durchschreitet dort als Chefarzt Georg Trotter acht Folgen lang eine Hochleistungs-Sportklinik. Trotter – früher Fußballprofi, dann als Arzt und „Bluthund“ der Dopingfahndung zur gefürchteten Berühmtheit geworden – zieht aus Nordengland in eine Villa im Salzburger Land. In Spiegelung der allgegenwärtigen Korruption im realen Fußball geht es um Geld, Macht, Manipulation, Aufputschmittel, junge Supertalente und ihre genetische Optimierung. Ein neues Enzym soll den jugendlichen Athleten Wunderkräfte verleihen – und nebenbei den greisen Gremiensportlern der Verbände das ewige Leben gewähren.

Die Postkartenidylle des k.u.k.-Kurbads im Gasteiner Tal ist – neben Liverpool – das hochästhetische zweite Zentrum der Story. Hier geht man schon von Natur aus permanent auf- oder abwärts. Ein für das Thema Vitalität also äußerst glaubwürdiger Ort im Talschluss, gesegnet mit Bädern und Heilquellen, in denen etwa Kaiserin Sisi unzählige Male aufgepäppelt wurde. Regisseur Andreas Prochaska („Das Boot“, „Das finstere Tal“ und „Alex Rider“ vergleiche Alpine Kultur, heimlicher Alpenfilm #18), verlegte das TV-Hospital hinter die denkmalgeschützte Monumentalfassade des ehemaligen Grand Hotel de l´Europe. Diese 115 Jahre alte Immobilie versprüht nach jahrelangem Leerstand heute auch in der Realität wieder auf einigen der zehn Etagen echtes Leben, mit Bars, Restaurants und Luxusapartments. Wenigstens in den Skiwintern.

Moretti alias Trotter trifft in der fiktiven Hightechklinik auf eine vollendet skrupellose Personnage rund um die Wissenschaftlerin Edmunda (Agata Buzek). Und kommt sich bald wie Goethes Zauberlehrling vor, weil erschreckend viele Mit-Chefs statt ihm selbst bestimmen, was in dem Krankenhaus passiert und was nicht. Wer verfolgt hier welches Ziel? Ein teuflisches Vabanquespiel nimmt seinen Lauf. Die Berge bleiben im Hintergrund – und spielen doch ihre große Rolle. Als heimliche Traumwelt, als vitaminöser Gegenentwurf zum mafiösen Fußballuniversum. Aus diesem Gefälle zwischen Idylle und Grauen bezieht die Serie ihren Thrill. Ganz wie die Wirklichkeit.

Text: Alexander Hosch

Das Netz – Prometheus; Regie Andreas Prochaska (Folgen 1-4) und sein Sohn Daniel (Folgen 5-8); mit zwei anderen Serien verzahnte Co-Koproduktion von MR-Film sowie ServusTV, ARD Degeto und Netz GmbH. Acht Folgen à 45 Minuten. Sofort in der ARD-Mediathek; TV-Ausstrahlung der ersten vier Folgen am 17. November (ARD), Teil fünf bis acht am 19. November, jeweils ab 20:15 Uhr.

Alex Rider (TV-Serie, 2020)

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Heimlicher Alpenfilm  #18

 

Der 16-jährige englische Schüler Alex Rider ist ein großer kleiner James Bond. Auf der Basis eines Romans der gleichnamigen, bis jetzt 13-teiligen Jugendbuchreihe von Anthony Horowitz wurde 2019 die erste Staffel der TV-Spionageserie „Alex Rider“ gedreht. Alex (gespielt von Otto Farrant) wird darin – unfreiwillig – zum MI6-Mitarbeiter. Ein Teil der acht Episoden spielt in London. Der Rest wurde in ein Eliteinternat namens Point Blanc verpflanzt – scheinbar ein Hilfe-Ort für Problemkinder der Superreichen in aller Welt. Dort wird Alex von seinen neuen Chefs im Geheimdienst als Eleve eingeschleust. Seine Mission: Herauszufinden, warum in Point Blanc wundersame Dinge geschehen. So mogelt sich auch noch eine gehörige Portion Harry-Potter-Charme in den Agenten-Cocktail.

Uns faszinierte hier auch das ästhetische Drumherum dieses spannenden und hochaktuellen Coming-of-Age-Plots: Denn das Gebäude Point Blanc ist eine verstörend dramatische Mixtur aus Ritterburg und Art-déco-Palast, himmelhochalpin und extra-malerisch zwischen der Schweiz und Frankreich gelegen. Lässig und locker durchpflügt der blonde Alex die Tiefschnee-Umgebung des einsamen Internats mit seinem umfrisierten Bügelbrett, das ihm als Snowboard dient. Bis ihn die rasend schnellen Snowmobiles der schwerst bewaffneten Schulwächter verfolgen, die die Vorzeige-Nichtsnutze von Point Blanc angeblich nur bewachen. Die weiträumige weiße Wüste rund um das monumentale Schulschloss – Kenner denken sofort an Skigenüsse in der seidigen Freerider-Pracht der drei Täler rund um Courchevel und Méribel – wird für Alex Rider zur Action Art zwischen Wintersturm und Kugelhagel. In puncto Effektkunst und Drehbuchwitz steht die Serie dabei den besten adulten Thriller-Abenteuern in nichts nach. Bald kommt Alex einem düsteren Klon-Geheimnis und einer grandiosen Machtstreberei und Weltverschwörung auf die Spur.

Als wäre es von Robert Mallet-Stevens entworfen: das teuflische Internat Point Blanc

Verblüffend ist, dass die Hochalpenkulisse, durch die der Held vor den Schneemobilen flüchtet, die Gipfel Frankreichs und der Schweiz lediglich nachbildet. In Wahrheit nämlich gab Sinaia, das größte Skigebiet Rumäniens, das prachtvolle Filmpanorama ab. Das Setting soll dort von der Crew viel günstiger einzufangen gewesen sein als an allen Schweizer oder französischen Schauplätzen rund um Mont Blanc und Matterhorn. Leider glaubhaft. So schlugen die Regisseure Andreas Prochaska und Christopher Smith also den umgekehrten Weg ein, den 1967 Regie-Superstar Roman Polanski ging, als er seinen Dracula für Tanz der Vampire real nachts in den Dolomiten aufweckte statt in Transsylvanien. Alex Rider wurde in Teilen nahe Sinaia, der Perle der Karpaten, gedreht – um die Savoyer Alpen mit Hilfe von rumänischem Schnee darzustellen. Sehr tolle Serie in extrem beeindruckendem Setting. Nicht nur für die vielen Fans der Horowitz-Jugendbücher geeignet. Es gibt zwei weitere Staffeln.                         TEXT:      Alexander Hosch

Alex Rider ist eine Produktion von Eleventh Hour Films und Sony Pictures Television für Amazon Prime und IMDb TV. Bis 13. Februar ist Staffel 1 der Serie in der ZDF-Mediathek zu sehen, danach weiterhin in Amazon Prime. Staffel 2, mit ebenfalls acht Episoden zwischen 43 und 45 Minuten, startete im Dezember 2021 bei Amazon Prime Video. Staffel 3 ist abgedreht (in Deutschland zu sehen vermutlich ab Ende 2022).

Die Screenshots stammen aus Trailern in der ZDF-Mediathek und von Amazon Prime.

Fan-Website  www.alexrider.fandom.com (dort auf „Point Blanc“, dann auf „Point Blanc Academy“ klicken): Infos zu den inneren Werten des Gebäudes – Grundriss, Ästhetik, Raumplan.

Im Auftrag des Drachen

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Die heimlichen Alpenfilme:  #17

Da Clint Eastwood mit seiner sage und schreibe vierzigsten Regiearbeit, dem gemütlich erzählten Charakterstück Cry Macho, gerade die Kinobesucher bezirzt hat, ist dies der richtige Moment, an einen Rohdiamanten aus dem Jahr 1975 zu erinnern. Für sein Werk Im Auftrag des Drachen konzentriert sich Eastwood auf Action in ihrer reinsten Form: kein Double, keine Special Effects, keine Pappmaché-Felsen. Zugegeben, das Bergfilmklischee wird hier schon etwas bedient. Aber gekonnt. Und wenn es darum geht, Hollywoods einst attraktivsten Haudegen wiederzusehen (Eastwood  ist auch der „schlagfertige“ Antiheld unseres Heimlichen Alpenfilms #13), drücken wir ein Auge zu.

Doch was trieb dieses cinemagische Urgestein, das heute im Alter von 91 Jahren als Darsteller eine erschütternde Zerbrechlichkeit zulässt, seinerzeit ins Schweizer Hochgebirge?

Eastwood gibt den Frauen- und Kunstsammler Dr. Hemlock, der ein letztes Mal für eine Geheimorganisation einen mörderischen Auftrag ausführt. Sein Boss, ein lichtscheuer, mit Bluttransfusionen überlebender Albino, schickt ihn dafür in die Eiger-Nordwand.

Der Filmstar war in körperlicher Bestform, als er – dressed to kill im azurblauen Anorak – gegen den Schicksalsberg antrat. Als würde die steile Abbruchkante einen Schauspieler nicht genug fordern, musste es für den Amerikaner auch noch der Regiestuhl sein.

Gefährliche Seilschaft: Clint Eastwood mit seinem love interest Vonetta McGee

Weder Schneestürme noch der Tod eines Klettertrainers haben die Dreharbeiten gestoppt, damit Dr. Hemlock am Eiger eine letzte Rechnung begleichen kann. Dank Eastwoods Sportsgeist und kongenial im Hubschrauber agierender Kameraleute entstanden so höchst authentische Kletterszenen. Schon fürs Zusehen sollte man besser schwindelfrei sein.

https://www.alpine-kultur.com/agenten-sterben-einsam/

Alexandra González

Im Auftrag des Drachen (USA 1975) – immer wieder zu sehen in der 3sat-Mediathek.

Mein ein, mein alles

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Die heimlichen Alpenfilme:      #16

 

Der Nachtlokalbesitzer Georgio sieht wirklich sehr gut aus, und er kann so was von charmant sein. Nichtdestoweniger ist er das Abziehbild eines Cis-Mannes. Wann immer die nicht mehr ganz junge Anwältin Tony, die ihn in einer Diskothek kennengelernt hat, Zeit mit dem narzisstischen Superalphamännchen verbringt, tauchen wie selbstverständlich Georgios Ex-Gespielin, das Model Agnès, und ihre Freundinnen mit auf. Oder waren sie gar nie weg? Und sind da etwa noch aktuelle Favoritinnen dabei? Man weiß es nicht.

Bist du ein Idiot?, fragt Tony Georgio, nunmehr ihr Ehemann, eines Tages im Bett. Er antwortet: Ich bin der König der Idioten. So in etwa lässt sich der ganze Film von 2015 (Originaltitel: Mon roi) beschreiben. Tony, die sich durchaus an Georgios Spiel mit sexuellen und anderen Perversionen erfreuen kann, kommt sich immer öfter wie das fünfte Rad am Wagen inmitten all der Beauties in Georgios Entourage vor. Der beredte Manipulator nimmt schließlich das leichtsinnige Schlendrian-Dasein und seine Koks-Sucht vollends wieder auf. Nachdem Tony das gemeinsame Kind ihrer toxischen Liebe geboren hat, verbringt sie die Zeit vor allem allein mit dem Jungen Simbad, den Georgio indes abgöttisch liebt und bald lieber besucht als Tony. Eine immergleiche alte Geschichte nimmt ihren Lauf.

Glücklich ist am Ende wohl niemand – bis auf eine Tatsache: Dass Vincent Cassel und Emmanuelle Bercot eine unglaublich glückliche Besetzung für ein total verkorkstes Paar sind. Schwer jemand würde die triste Passage der unglückseligen Tony feinfühliger und glaubwürdiger umsetzen als Bercot, die dafür 2015 in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. Und kaum einer kann die Rolle eines majestätischen Super-Arschlochs so gekonnt erfüllen wie Vincent Cassel, der zurecht für seine ambivalenten Darstellungen immer wieder Preise erhielt wie etwa 2009 den César als bester Hauptdarsteller in Public Enemy No 1. Bei uns war Cassel natürlich früher auch schon mal erste Wahl: im heimlichen Alpenfilm #7 Die Purpurnen Flüsse (bitte gerne gleich anschließend rüberklicken!).

Tony und Georgio leben in Paris. Ihre Wende bekommt die in Rückblenden erzählte Story aber im Schnee der Alpenberge, wo Tony (gleich zu Anfang des 128-Minuten-Films von Regisseurin Maiwenn) auf der Skipiste verunglückt, worauf sie am Meer eine Knieverletzung ausheilen muss, die zur Psychotherapie über die gescheiterte Beziehung wird. Der Film wirft viele Fragezeichen auf, man schluckt zusammen mit Tony immer wieder irritiert die Manöver und die Kröten Georgios – und versteht am Ende doch nie, warum beide so handeln. Andererseits: Mon roi heißt Mein König. Und jeder kennt in der Realität gar nicht wenige Beispiele von Paaren, die es – auch oft mit Königin – genau so anstellen. Auch die versteht man nicht. Aber sie sind überall. Das macht die Faszination und die Treffgewalt dieses Films um Liebe und Verrat aus, der zwar nur ein paar beiläufige Spritzer Schnee und Bergsichten enthält, jedoch gerade deshalb ein besonders heimlicher Alpenfilm ist.                                                                                        Alexander Hosch

Mein ein, mein alles / Mon roi (2015). Immer mal wieder auf Netflix, zur Zeit aber nicht in D/A/CH. Jedoch ist der Film aktuell  auf zahlreichen anderen Streamportalen zu kaufen / zu leihen.

Die große Stille

 

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Heimlicher Alpenfilm #15

 

Gott steckt im Detail. Und Philip Gröning sieht genau hin: Fingerspitzen, die in Weihwasser tauchen. Im Sonnenstrahl tanzende Staubkörner. Dachschindeln, feucht glänzend vom schmelzenden Schnee. Sechs Monate verbrachte der deutsche Regisseur in der Grande Chartreuse, um diesen Filmessay über den strengsten Orden der christlichen Welt zu drehen. Bereits 1984 hatte er die schweigsamen Einsiedler in den Felsmassiven nahe Grenoble um eine Drehgenehmigung gebeten, 16 Jahre später kam die Erlaubnis. Die Auflagen: Kein künstliches Licht, keine zusätzliche Musik, keine Kommentare.

Der 2005 in den Kinos gestartete Film dokumentiert den Wechsel der Jahreszeiten und die asketischen Riten des Tages: Beten, stille Arbeit, ein Feld wird bestellt, eine Kutte genäht, die gemeinsame Messe in der fast vollständig dunklen Kirche, die gregorianischen Choräle als Träger der Innerlichkeit. Beides ist in der Kartause sehr gegenwärtig: das Einfache, Physische der Welt und die Abkehr davon. Um die Abgeschiedenheit zu steigern, umschließt eine hohe Klausurmauer die Zellen. Wie ein zweiter Schutzwall überragt das Chartreuse-Gebirge das Kloster. Der Begründer des Kartäuserordens Bruno von Köln schrieb: Wenn der schwache Geist durch die strenge Disziplin und die spirituelle Arbeit ermüdet ist, wird er durch die Schönheit der Landschaft aufgerichtet. Deshalb gehen die Patres einmal die Woche gemeinsam spazieren und blicken dankbar auf die Alpen wie auf ein großes Geschenk.

Foto und Text © Alexandra González

http://www.x-verleih.de/filme/die-grosse-stille/

 

Solo: A Star Wars Story

  Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit:                               

Heimlicher Alpenfilm #14

Als die Sonne über den Drei Zinnen aufgegangen war, schoss ein Raumgleiter an der berühmten Dolomitenformation vorbei. Echt jetzt? Echt jetzt im Kino! Die Star-Wars-Filmarchitekten aus Amerika wären ja blöd, wenn sie sich jede dramatische Bergspitze selbst aus den Fingern saugen würden, wo es doch in der Natur jede Menge von der Unesco geprüfte Weltklasse-Requisiten gibt: In den Südtiroler Alpen etwa.

Weltraum-Schmuggler Han Solo unternimmt in The Red Cup von 2018 (deutscher Titel: „Solo: A Star Wars Story“) sogar einen Landeanflug auf die dramatische Trias. Auch Wookie Chewbacca ist mit dabei. Das Spin-Off zur 1977 gestarteten „Krieg der Sterne“-Saga hatte im Mai dieses Jahres in Cannes Weltpremiere gehabt, gleich danach kam es bei uns in die Kinos. Die 200-köpfige Crew von Walt Disney und der Lucasfilm Produktion drehte zuvor von Januar 2017 an ganz real unter anderem rund um den Monte Piana sowie am Misurina-See in der Nähe von Belluno. Wo den Regisseur, Oscarpreisträger Ron Howard, übrigens besonders die vorhandenen Militäranlagen aus dem Ersten Weltkrieg vom Hocker hauten. In The Red Cup hat der 28-jährige Schauspieler Alden Ehrenreich erstmals Harrison Ford (damals 75) als Han-Solo-Darsteller abgelöst. Er wohnte während seiner Aufenthalte im Juni, Juli und Oktober 2017 im Grand Hotel Misurina, wie auch der Regisseur und die anderen Stars. Die Drei Zinnen – der legendäre Gebirgsstock zwischen Belluno und dem Hochpustertal – spielten am Ende sogar eine Schlüsselrolle für das Anheizen des Filmstarts. Schon nach zwanzig Sekunden tauchen sie im Trailer auf. So wurde das Wahrzeichen der Dolomiten, das zugleich Sinnbild des Wander- und Klettertourismus im Trentino ist, zum Mittelpunkt des wohl berühmtesten intergalaktischen Heldenepos aller Zeiten. Möge die Macht der Bilder weiter mit ihm sein!                                                           Alexander Hosch

 https://www.vivosuedtirol.com/reisemagazin/star-wars-drei-zinnen/

 

 

Agenten sterben einsam

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit: 

Heimlicher Alpenfilm #13

So impossible scheint die Mission von Richard Burton und Clint Eastwood, dass sie Tom Cruises Aufträge wie ein Kinderspiel aussehen lassen: Als Major Smith und Lieutenant Schaffer müssen sie unbemerkt in das Hauptquartier des deutschen Geheimdienstes eindringen, um einen US-General im Besitz hochbrisanter Informationen zu befreien. Ein Himmelfahrtskommando.

Eastwood agiert in Brian G. Huttons Kriegsfilm-Klassiker von 1968 – Originaltitel „Where Eagles Dare“ – nach dem üblichen Erfolgsrezept: Schlechte-Laune-Gesicht plus umstandslose Gewaltanwendung. Als Kulisse für das Nazi-Wespennest diente Burg Hohenwerfen, seit dem 11. Jahrhundert ein strategisches Bollwerk auf einem markanten Felskegel im Salzachtal. In dem vertrackten Kaninchenbau bewegt sich Burton, auch zuständig für die ruhigen Shakespeare-Momente in dem Actionfilm, mit der Präzision einer Schweizer Uhr.

Immer wieder lassen Doppelagenten und okkulte Ziele die Handlung in anderem Licht erscheinen. Trotz dieser Volten ist der Spionagethriller reinster Situationismus: Eine verhängnisvolle Lage reiht sich an die nächste wie Perlen auf einer Zündschnur. Fahrzeuge, Brücken, Bäume und Personen fliegen konfettigleich in die Luft. Dieses pyrotechnische Ballett kommt in der tief verschneiten Landschaft der Salzburger Schieferalpen, wo die Filmcrew ab Januar 1968 drehte, besonders gut zur Geltung.

Alexandra González

https://www.amazon.de/Agenten-sterben-einsam-Blu-ray-Eastwood/dp/B003GZ4QJ2/ref=tmm_blu_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=&sr=