Der große Giacometti

Alberto Giacometti im Münchner Umland – und dann gleich mit rund 100 Exponaten! Das ist ein ziemlich guter erster Aufschlag, den Annette Vogel, die neue Leiterin des Museums Penzberg, da letzten Freitag gesetzt hat. Man hätte angesichts der Sammlung Campendonk, die dort sonst im Mittelpunkt steht, eher eine expressionistische Beziehungsgeschichte zum Blauen Reiter erwartet. Stattdessen füllen überraschenderweise die dünnen Bronzeskulpturen mit den doppelten Sockeln, einige Gemälde, viele Zeichnungen, Litho- und Fotografien aus den 1930er bis 1960er Jahren die drei verwinkelten Etagen. Der Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti (1901-1966), der mal den Surrealisten, dann wieder mehr den Existenzialisten nahestand, hat sie alle geschaffen. In Paris, wo er fünf Jahrzehnte sein Atelier hatte. Und der Sammler Helmut Klewan, einst Galerist in Wien und München, in Penzberg jetzt der einzige Leihgeber, hat diese Schätze früh für sich erworben. In der Tat ist Giacomettti heute einer der berühmtesten und teuersten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Nicht vergessen werden darf, dass hier auch ein Gruß von den südlichen Alpen an die nördlichen Voralpen ergeht: Giacometti (li. mit seiner Mutter)  wuchs als Spross einer Künstlerfamilie im Graubündner Hochtal Bergell auf. Seine Arbeiten bleiben nun einen Sommer lang im bayerischen Oberland: Unter den breiten Schultern der 1801 Meter hohen Benediktenwand.

Text und Fotos:   Alexander Hosch

Ausstellung „Alberto Giacometti – Mensch und Raum – Aus der Sammlung Klewan“ / Museum Penzberg Sammlung Campendonk / Bis 8. Oktober 2023, Di-So 10-17 Uhr  / museum-penzberg.de  . – Aus München braucht man über die Autobahn 45 Minuten. Die Bahn fährt stündlich. Der Fußweg vom Bahnhof zum Museum dauert 10 Minuten.

Krieg und Frieden

Auf dem Kolovrat-Kamm herrscht Stille. Nur das Gurren eines Birkhuhns wird vom Wind herübergetragen. Unter den blaugrauen Wolkenmassen breitet sich eine Landschaft aus, die sich auf der einen Seite über das slowenische Soča-Tal bis zum Triglav-Massiv und auf der anderen Flanke bis zur Adriamündung dieses Flusses zwischen Grado und Monfalcone erstreckt. Isonzo heißt die Soča auf italienischem Boden.

Isonzo steht auch als Synonym für zwölf Schlachten, in denen sich Italien und Österreich-Ungarn zwischen Mai 1915 und Oktober 1917 einen wahnsinnigen Stellungskrieg lieferten. Nun ist es friedlich am Kolovrat. So weltentrückt, dass sich die Seele weiten will. Wären da nicht die italienischen Gefechtsanlagen aus dem Ersten Weltkrieg, die sich Maulwurfgängen gleich in das Erdreich gefressen haben.

 

 

 

 

 

 

Die Isonzofront zog sich mitten durch diese Hochgebirgsregion und verwandelte sie in eine aufgerissene Landschaft. Ein Anrennen gegen die Gipfel und Pässe war das, gewalttätig wogte die Front im Soča-Gebiet hin- und her. Auf beiden Seiten wurde für minimale Geländegewinne ein maßloser Blutzoll entrichtet.

 

 

 

 

 

 

Seit einigen Jahren will ein 500 Kilometer langer „Walk of Peace“, der auch am Kolovrat verläuft, an den massenhaften Kriegstod dieser Männer erinnern. Von den Julischen Alpen über das Collio und den Karst bis zur Adriaküste lässt sich auf diesem Wanderweg entlang von Memorials, Kavernen, Festungen und Friedhöfen über die Geschichte des Kriegs und den Preis des Friedens nachdenken. Über all das Leid, die Opfer, die Unterdrückung, die unzähligen Toten. Eine fortdauernde Warnung eigentlich.

Unten im Tal erzählt das Museum von Kobarid die Geschichten weiter – von den fremden Mächten, die mit Flammenfäusten nach diesem mit Schönheit gesegneten Land griffen. Es mahnt zum Frieden und rückt die Sicht der Leidenden, die bezahlen mussten, in den Mittelpunkt. Krieg ist überall grausam. Wie lässt er sich angemessen beschreiben? In diesem Weltkriegs-Museum, untergebracht in einem wundervoll erhaltenen Barockbau, sprechen vor allem Objekte, Bilder und persönliche Zeilen der entsetzlichen Erinnerung. Grabsteine in der Eingangshalle, die Tür eines italienischen Militärgefängnisses, Tagebucheinträge, Fotografien der von Giftgas entstellten Gesichter.

 

 

 

 

 

 

Auch der damals noch völlig unbekannte Ernest Hemingway erlebte als Sanitätsfreiwilliger auf der Seite der Italiener die Isonzoschlachten. In Fossalta di Piave wurde er schwer verletzt, nicht einmal 19 Jahre war er alt.

Zehn Jahre benötigte der amerikanische Schriftsteller, um seine traumatischen Erfahrungen im Roman „A Farewell to Arms“ zu einer düsteren Liebes- und Antikriegsgeschichte zu verweben. Dieses Buch, Schlüsselwerk der Lost Generation, sollte eines seiner erfolgreichsten werden. Es ist eine schmerzhaft aktuelle Lektüre über das Scheitern des individuellen Glücks in einer Welt der Kälte und des Sterbens. Hemingway kam in dieser Sphäre der Glaube an das Gute abhanden.

Die Welt zerbricht jeden, und nachher sind viele an den gebrochenen Stellen stark. Aber die, die nicht zerbrechen wollen, die tötet sie. Sie tötet die sehr Guten und die sehr Feinen und die sehr Mutigen. Ohne Unterschied.

E. Hemingway, In einem anderen Land

2018 wurde der Roman neu ins Deutsche übertragen, den etwas abwegigen Titel „In einem anderen Land“ behielt man bei. Auf dem Bücherständer im Shop des Kobarid-Museums wird auch diese Rowohlt-Ausgabe angeboten. Man sollte nicht achtlos daran vorbeigehen. Hemingways Text erscheint moderner denn je und derart eindringlich wie es nur große Literatur sein kann.

Text und Fotos © Alexandra González

 

https://www.thewalkofpeace.com/

Seit Kurzem ist die Gemeinde Kobarid auch mit der Augmented Reality App „Walf of peace – Kobarid während des Ersten Weltkriegs“ zu erkunden.

https://www.kobariski-muzej.si/deu/      

 

Brutal schön

Kommt mir bloß nicht zu nah! – Günther Domenigs Steinhaus am Ossiacher See, Bauzeit 1983-2008.

Weiterbauen in den Alpen. Was das heißen kann, lässt manchem aktuell wieder die Haare zu Berge stehen. Jodeldidumpfdideldei. Viele sind deshalb mehr als froh, dass es neben den Heerscharen von schief gewickelten Traditionalisten (und einigen guten) auch noch alpine Architekten wie Günther Domenig gab, der von sich sagte: „Ein Bauherr, der mich einmal hatte, nimmt mich nie wieder.“ Schon speziell. Und irgendwie logisch, dass die wichtigste private Baustelle sein eigenes Haus in Kärnten wurde. Das Steinhaus am Ossiacher See.

Vor genau zehn Jahren starb der große Österreicher. Kann uns seine Architektur in einer Zeit der nachhaltigen, kostengünstigen, emissionsfreien Bauwerke noch viel sagen? Schwierig. Heute geht es ja eher um die Abkehr von einem superambitiösen Stil. Und neue Häuser sollten am besten gleich aus dem 3-D-Drucker herausfallen.

Wie ein Großmeister einer Geheimloge bat Günther Domenig 2004 zum Interview in eine der Glas-Stahl-Beton-Kanzeln seines futuristischen „Steinhaus“.

Was Domenig damals in seinem Steinhaus im Interview für AD Architectural Digest zu mir sagte, war bezeichnend für ihn: Kommt mir bloß nicht mit Normalität! Sein Stil war ultraindividuell und – auf sympathische und künstlerische Weise – maßlos. Er suchte perfekte Lösungen, die deshalb auch meist ziemlich teuer waren. Genau so wie das Steinhaus am Ufer des Ossiacher Sees, das er für sich selbst auf dem elterlichen Grundstück erbaute. Immer wenn nach einem Architekturauftrag seiner großen Büros in Graz und Wien Geld übrig war, fügte er dem Wohnhaus eine neue Kanzel aus Stahl oder einen Raum aus Glas und Beton an. Von 1982 bis 2008 werkelte er immer daran weiter und setzte – wie er in dem Interview sagte – mit diesem avantgardistischen Bau seine Kindheitserinnerungen an das Gebirge des Mölltals architektonisch um. Das Steinhaus verschlang über die Jahre gewiss Millionen. Unzählige Wochenenden verbrachte Domenig hier.

Heute sind Beton und Stahl alles andere als die Baustoffe der Stunde. Und das Formeninventar des Dekonstruktivismus, dem Domenig ein Leben lang anhing, entwickelte seine Verrücktheiten vor 20 bis 40 Jahren – gedanklich kilometerweit entfernt von der Ratio unserer effektiven Zeit. Auf Domenig bezieht sich heute aber etwa gern Ben van Berkel von UN Studio, der selbst in Graz gebaut hat. Er bewundert die skulpturale Eleganz der Grazer Schule und die ideelle Komponente der Schöpfungen.

Domenigs eigene Büros waren voller Zeichnungen der Wiener Aktionisten  – vor allem von Günter Brus. Dessen oft figurative, überbordene, phantasmagorische Bilder dürften maßgeblich für den 1934 geborenen Architekten gewesen sein – so wie die expressionistischen Ideen des Vorgängers Friedrich Kiesler oder die Utopien von Zeitgenossen wie Friedrich St. Florian, Feuerstein, Haus-Rucker Co, Raimund Abraham. Um 2000 setzte Domenigs große, erfahrene Firma einige Werke der nun weltberühmten Wiener Kollegen coop Himmelblau technisch um.

Auf den ersten Blick erscheint die Kunst- und Architekturlandschaft des Steinhauses an trüben Tagen leicht wie eine Materialmusterwand im Baumarkt. Aber aus der Nähe betrachtet wird sofort ein Gesamtkunstwerk draus.

Zu Domenigs bekanntesten Werken gehören neben dem brutalistischen Steinhaus das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das Telekom-Center in Wien und die ehemalige Zentralsparkasse in Wien-Favoriten (heute: Haus Z) mit der charismatischen Knautschfassade sowie „Händen“ und „Därmen“ als Stützen oder Röhren.

Text und Fotos:  Alexander Hosch

Zu Domenigs zehntem Todestag beginnen in Österreich Mitte Juni vier Ausstellungen. unter einem gemeinsamen Titel. „Günther Domenig: Von Gebäuden und Gebilden. Dimensional“ ist ein mehrteiliges Projekt des Architektur Haus Kärnten (AHK), gemeinsam mit dem Land Kärnten, dem Museum Moderner Kunst Kärnten, der Steinhaus Günther Domenig Privatstiftung und der Heft/ Hüttenberg, kuratiert von section a. Die Hauptschau (bis 16. 10., Di-So 10-18 Uhr) ist im alten Eisenhüttenwerk Heft im steirischen Hüttenberg, das Domenig als Industriedenkmal umbaute.

www.domenigdimensional.at

Zeichen aus dem Allgäu

Das Erscheinungsbild von Olympia 1972: Wenn das gestalterische Wirken von Otl Aicher (1922-91) auch viel umfassender ist – selbst Laien wird mit diesem Highlight klar, wie sehr er für jedermann sichtbar in den Alltag hineinwirkte. Aicher, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiern würde, während der Olympiade-Termin in München sich zum 50. Mal jährt, wird jetzt in Ausstellungen und Büchern neu vermessen.

Davor hatte Aicher in den 1950-er Jahren schon die Hochschule für Gestaltung in Ulm mitgegründet, deren Lehrer und Rektor er später wurde, sowie zahlreiche Firmen wie Erco, Bulthaup, Lufthansa und Braun als Gestalter beraten und mit einer Corporate Identity versehen – damals ein völlig neuer Begriff. Nach der Sommerolympiade 1972, deren vielfarbig gestreifter Waldi bis heute noch höchst lebendig als eine Art zusätzliches München Wahrzeichen existiert, zog es den Ulmer Otl Aicher in die Allgäuer Voralpen. In der Zurückgezogenheit mit stetem Blick auf die Berge entstand 1987 die Schriftfamilie Rotis. Sie ist Aichers einzige kommerzielle Schrift, deren schlichte Noblesse an die Schriften des Bauhauses anknüpfte. Sie sah sowohl mit wie auch ohne Serifen gnadenlos gut aus. Aicher hatte ein neues Leseverhalten ausgemacht und dafür eine Form gefunden.

Kaum beachtet ist bis jetzt, wie sehr sich Aicher im Allgäu auch architektonisch verwirklichte: Früh entwickelte er einen Sinn für Einfachheit, für Minimalismus und ein Leben mit der Natur, wie es heute für sehr viele Menschen ein Ideal ist. Im kleinen Ort Rotis bei Leutkirch – zwischen Memmingen und Wangen – kaufte er damals ein vier Hektar großes Grundstück und baute zwischen 1972 und 1976 rund um eine alte Mühle, ein steinernes Wohnhaus und einen Stall neue, teilweise aufgeständerte Atelierhäuser und Werkstätten aus Holz für sich, seine Familie und Mitarbeiter aus den Welten Fotografie, Typografie, Druckerei und Design.

„Rotis ist wie ein kleiner Campus, den man in die wunderschöne Landschaft von Schwaben gesetzt hat“, lobte der weltberühmte Architekt Lord Norman Foster, der mit ihm befreundet war, die Atmosphäre in Aichers kleinem Bau-Vermächtnis. Aichers Schreibtisch stand inmitten des Großraumbüros, er war immer zwischen allen anderen – streng und lustig, wie es heißt. In der sogenannten „Rotisserie“, dem ehemaligen Kuhstall, hat man zusammen gegessen. Oft wurden Sitzungen ins Freie verlegt.

Die aktuelle kleine, feine Münchner Schau „Otl Aicher 100“ im Pavillon 333 passt bestens zu Aichers Konzepten. Auch die Studenten der TU-Lehrstühle von Hermann Kaufmann und Florian Nagler haben 2021 in ihrer Architektur für das hölzerne, von einer durchsichtigen Polycarbonathülle und einem Textilvorhang umgebene Bauwerk zeitgemäße Zielsetzungen der Angemessenheit, Natürlich- und Zweckmäßigkeit verinnerlicht. Direkt vor der Pinakothek der Moderne kann man sich in der Türkenstraße noch bis 28. Mai einen Eindruck davon machen: Der Pavillon ist vorübergehend mit orangen Schalensitzen ausgestattet, die einst 1972 für die olympischen Regattarennen in Schleißheim aufgestellt waren, außerdem mit Aichers markantem Tisch-Entwurf, den berühmten Piktogrammen und vielen Details aus seinem Entwerferleben. Im Hochsommer gibt es für die sehr gelungene Ausstellung mit vielen Schautafeln, Möbeln, grafischen Entwürfen und Fotos einen zweiten Münchner Termin: im Kulturzentrum Pasinger Fabrik, zwischen 7. Juli und  14. August. Spätestens da sollte man hin.

Text und Fotos: Alexander Hosch

 

Auf der Streif nach dem guten Essen

Das neue Restaurant Berggericht
Tiroler Expressionismus als Tafel-Bild

In Kitzbühel gibt es ein nagelneues Restaurant im ersten Stock eines Stadthauses. Keiner geht dort hin, nur um einen kleinen Appetit zu stillen. Das Berggericht ist ein Lokal, das spürbar etwas vor hat. Edel, achtsam und kultiviert. Es verzichtet sogar auf einen Gastgarten, so dass die Gäste sich an 36 Sitzplätzen voll und ganz auf ihre Speisen, die Weine aus eigenen Gütern des Besitzers in Franken und Stellenbosch sowie auf ihre Begleiter:innen konzentrieren. Das freundliche Ambiente mit den gepolsterten Bänken fördert wie automatisch das gute Tischgespräch. Niemand will aus diesem Laden freiwillig rasch wieder aufbrechen.

Konzept ist, dass es stets sieben Gänge gibt. S-i-e-b-e-n! Keiner davon ist, was er im ersten Moment zu sein scheint. Spannend. Die Überraschung ist also Dauergast. Ein Gulasch kann hier wie ein Gebäckstück mit Schokoladenguss aussehen – oder wie ein Mini-Burger. Vor dem regulären Menü gibt es immer ein paar Amuse-gueules, danach einige Desserts. Alles – auch die Hauptspeise – ist sehr fein tariert, so dass man sich nie voll fühlt.

Streifabfahrt vor dem Kaisergebirge

Die Eröffnung wurde wegen Corona ein paar Mal verschoben. Im November 2021 war es aber so weit. Wir kamen etwa vier Wochen danach. Trotz des notwendigen Blitzstarts der österreichische Gastronomie nach dem Dezember-Lockdown (zwei Tage zuvor) saßen Motivation und Leidenschaft in jedem einzelnen Gericht, egal ob Aal, Hummer oder Spinatravioli. Grassierender Personalmangel? Nicht hier! Das kleine Team arbeitete mit extremer Disziplin und Passion. Manche Hors d´oeuvres, Hauptgänge, Petits fours sahen fast so eindrucksvoll aus wie Mikroausdrücke in der Psychologie – ein virtuoses Spiel aus Analogie, Minimalismus und Konsistenz, Qualität und Ästhetik. Geschmackliche Höhepunkte waren ein XO Alm OX (Dry aged Rinderfilet mit Pfeffersoße, Speckbohnen und Pommes) und – von der Pâtissière – ein Haselnuss-Mandel-Milch-Gemisch. Hans Hanner war in Mayerling bei Wien ein 4-Hauben- plus 2-Sterne-Koch, ehe er ins Berggericht wechselte. Er möchte bald genau da hin, wo er vor der rauen Coronazeit war: zu den Sternen!

Das Berghaus Tyrol – ein Bau von Alfons Walde in maßvoller Moderne – war mal ein Ferienhaus und ist heute ein Pistenlokal.

Am nächsten Tag in Kitzbühel, auf der Piste, ist dann ein einfaches, bodenständiges Backhendl die ideale Ergänzung. Am besten im Berghaus Tyrol. Dessen Architektur – mit Holzschindelfassaden, Pultdach, schlichter Gliederung und Traumaussicht – wurde einst als Feriendomizil Haus Lopez gestaltet, von den feinen Händen des Kitzbüheler Malers und Architekten Alfons Walde (1891-1958). Von so was träumen übrigens all die Menschen wirklich, die immer von sich behaupten, sie würden gern in einem Tiny house leben: ein gemütliches Haus in der Natur ohne Schnickschnack, aber mit viel Aussicht und genügend Platz. Das Lokal mit Panoramaterrasse liegt nur knapp überhalb des Hahnenkamms. Die beiden Stationen für dessen Bergbahn hat Walde übrigens auch gebaut, schon 1927. Durch sie gleiten auch dieses Jahr wieder alle Skistars der Welt zum Starthäusl der beiden Streifabfahrten.

Text und Fotos:   Alexander Hosch

Mehr Infos zu den Kitzbüheler Häusern von Alfons Walde, gibt es hier: Olivia Hromatka: Der Architekt Alfons Walde im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, 2016, Klein Publishing GmbH, 38 Euro, ISBN 978-3-903015-06-7

Aktuell:  Unsere Reisegeschichte über Kitzbühel sowie den Maler und Architekten Alfons Walde, der mehrere Häuser auf dem Hahnenkamm erbaut hat, ist in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 16. Januar 2022 erschienen.

Aktuell 2:  Die FIS-Skirennen auf der Streif (Abfahrten) und am Ganslernhang (Slalom) finden von 21.- 23. Januar 2022, statt.

https://www.berggericht.at/de

https://hahnenkamm.com/news/

Friede den Hütten

Overtourism ist im Berchtesgadener Land wahrlich kein Fremdwort, nicht einmal in der Pandemie. Und so strömen die Besucher, darunter zahlreiche indische und japanische Touristen, an diesem sonnigen Herbstwochenende wieder nach Berchtesgaden, an den Königssee und auf den Obersalzberg. We do Europe in two weeks. Für viele, sehr viele gehört offenbar auch historischer Grusel in Hitlers protzigem „Adlerhorst“, dem Kehlsteinhaus, dazu. Sogar eine Corona-Teststation ist dort oben in Betrieb.

Unmittelbar an den Nationalpark Berchtesgaden grenzt das Saalachtal im österreichischen Pinzgau und in seinem nördlichsten Winkel liegt die Gemeinde Unken nahe dem Grenzübergang Steinpass.

In der einzigen Bäckerei des Orts hat man seit Monaten kaum mehr Touristen gesehen. Inder? Japaner? Schon gar nicht. Jetzt fragen wir uns, weshalb man eine Nazigeisterstunde am Obersalzberg verschwenden muss, wenn man doch die Kultur dieser Landschaft im Unkner Regionalmuseum Kalchofengut viel besser erfasst? Also, auf geht’s ins Saalachtal statt auf den unheilvollen Hitler-Hügel!

Heute gibt es Wassermusik, sagt der Kustos Sepp Auer am Sonntagnachmittag und schmunzelt. Aber nicht von Händel. Am Haus wurde der Wasserlauf aus dem Brunnen über eine Rinne unterhalb der Dachtraufe umgeleitet und plätschert schließlich malerisch in einen Trog hinab.

Vor dieser Klangkulisse tönen die italienischen Partisanenlieder, die Jazzmusikerin Nane Frühstückl und Helmar Hill am Akkordeon gerade vortragen, noch spritziger. Ihr Auftritt dient quasi als Schlussakkord der „Bach“-Konzerte im Saalachtal –  ein Festival der besonderen Art, denn die Spielorte liegen „am Bach, am See, am Brunnen, am Wasserfall, im Kneippbad und wo es sonst noch sprudelt und fließt“.

Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Kalchofengut 1498. Vor 10 Jahren hat Sepp Auer das Museum übernommen und behutsam umgebaut. Jetzt gibt es etwa einen modernen Medienraum. Die Substanz dieses typischen Beispiels eines Mitterpinzgauer Einhofs ließ er freilich unberührt, so glänzt die uralte Rußschicht in der Rauchkuchl herrlich fettig wie eh und je. In der Schönkammer stapeln sich Stickereien, Klöppelspitze, handgewebtes Leinen. Und in der Sakralkammer ist ein Kreuzwegzyklus mit einer raren 15. Station zu bewundern – die bildliche Darstellung der Kreuzauffindung durch die heilige Helena.

Ein besonders zauberhaftes Museumsexponat wurde vom Kustos, der auf ein langes Berufsleben als Schreiner zurückblickt, in dreimonatiger Tüftelarbeit manuell gefertigt: das Diorama eines stattlichen Unkner Bauernhofs samt Nebengebäuden in ihrer Almlandschaft.

Verständnis für bäuerliches Rebellentum gegen die Obrigkeit suggeriert die aktuelle Wechselausstellung „Wilderei – Not und Leidenschaft“. Hier trifft man auf: Mena. Diese äußerst wehrhafte Wildschützin aus den 1930er Jahren versteckte eine erlegte Gams gerne unter den Latschenzapfen in ihrem Buckelkorb und ihre Büchse unter dem Kittel.

Nicht auszudenken, wäre sie derart ausgerüstet in das sogenannte Führersperrgebiet am Obersalzberg vorgedrungen und hätte mit einem beherzten Einsatz ihrer Flinte dem Spuk ein Ende bereitet. Dann würden die Touristen aus nah und fern heute nicht (nur) zu Hitlers ehemaligem Feriendomizil strömen, sondern nach Unken.

Fotos und Text © Alexandra González

Nur noch bis 3. Oktober 2021 ist das Regionalmuseum Kalchofengut geöffnet, dann wieder im nächsten Sommer – oder nach Vereinbarung.

http://www.kalchofengut.at

https://www.obersalzberg.de/home

Schöner sterben

Tote Bauwerke sind, solange sie gut aussehen, besser als jedes hässliche neue Archi-Nichts. Davon lebt der traumschöne Ski-Ort Bad Gastein im Salzburger Land prächtig. Berliner und andere westliche Hipster, Moskauer und andere östliche Oligarchen streifen seit Jahren wonnevoll durch eine Wintermärchen-Topografie aus kaiserlichen Kurparks, Wasserfällen und verlassenen Grand Hotels.

David Schalko ist bekannt als Braumeister österreichischer Gegenwartsdramen, in Bild und Schrift. Er legt nach der TV-Serie Braunschlag und dem Film Aufschneider mit Josef Hader jetzt Bad Regina vor – seinen dritten Roman. Der Ortsname ist erfunden, aber die Blaupause für die präzis aus Heilwasser, Zaubersanatorium, brutalistischem Kongresszentrum, Casino und Partymeile zusammengeprintete Touri-Idylle glaubt man zu kennen. In Schalkos literarischer Handlung sind zunächst die Architekturen die Stars. Der zarte Glamour ihres Verfalls puderzuckert eine Dorfwelt unter feschen Alpengipfeln. Nach und nach nimmt allerdings ein beachtliches Österreich-Bashing Fahrt auf.

„Der Österreicher war schon Nationalsozialist, bevor Hitler kam. In Österreich ist jeder ein Nazi. Acht Millionen Einzelfälle“, sagt einmal unvermittelt, aber geschliffen, der Intellektuelle unter den Dörflern. Auch sonst werden – im Gasthaus – immer wieder posttraumatische Bewirtungs-Störungen hinausgedonnert. Das ist der Schalko-Sound. Dazu wird eine Reihe ziemlich kaputter Ösi-Existenzen kredenzt. Monströs bösartige Scheinriesen. Oder unterwürfige Angsthasen, die sich zu allem zu klein fühlen. Das frühere Sex-Sekten-Mitglied Selma. Die irre alte Zesch. Der Vamp des Kaffs, Gerda. Ein frustrierter Ex-Clubbesitzer, Othmar, der mit dem Bürgermeister Heimo, dem abgetakelten Adligen Wegenstein und vierzig anderen letzten Bewohnern der Fast-Geisterstadt tief im Felsgestein Seltsames erlebt. Genüsslich fuhrwerkt der Autor in diesem Setting herum und lässt seine Personnage – als Trauma-Raumschiff Österreich – durch Bad Regina irren. Über einen „Chinesen“, der nach und nach alle Häuser aufkauft, dringen dann aktuelle Zukunftsängste herein. Was will der böse Fremde nur?

Ist das wirklich ein Roman?, fragt sich der Leser zuweilen, wenn der Text wie beiläufig Aphorismen ausspuckt, die nach Serien-Cliffhangers klingen. Oder wenn der Schriftsteller nahtlos Kammerspiel-Dialoge à la Burgtheater in die Prosa streut. Hasst Schalko seine Heimat? Möchte er der nächste Thomas Bernhard werden? Ist er es schon? Am kurzweiligsten liest sich Bad Regina überall da, wo mit schickem Namenszauber die Leser und Themen von heute abgeholt werden. Es gibt das Hotel Waldhaus, das Beisel Luziwuzi, den tief im Unterbewusstsein weiter rumorenden 90er-Jahre-Felsenclub Kraken, den gedächtnislos dahinvegetierenden Ex-DJ Alpha X aus Manchester und einen Dorfpolizisten, der den Transvestiten Petzi liebt. Skurril.

An manchen Stellen ist das 400-Seiten-Werk etwas langatmig, da wird zu genau erklärt, es treten zu viele Charaktere mit Eigenheiten auf, die man längst vergessen hat, wenn sie das nächste Mal auftauchen. Dann stockt das Lesevergnügen etwas. Aber der Roman findet ein feines Ende, in dem stimmig und in eleganter Sprache alles aufgelöst wird. Am besten ist es, sich vorzustellen, dass Schalko hier eigentlich gleich ein Filmskript vorgelegt hat. Der Regisseur Wes Anderson mag 2014 im oscarprämierten Arthousefilm Grand Budapest Hotel schon die zauberschönsten Bilder aller Zeiten für den Kult des aparten Verfalls gefunden haben.

Aber sei´s drum. Jetzt will man so schnell wie möglich den abgründigen Humor der grotesken Dorfkamarilla aus Bad Regina auf einem Bildschirm sehen.         Text und Foto:  Alexander Hosch

David Schalko, Bad Regina, 2021 (3. Auflage), Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-05330-2, 24 Euro.

Kulturalpinwelt!

Schon öfter haben wir bei Alpine Kultur über neue Schutzhütten, Bücher oder Ausstellungen des Deutschen Alpenvereins berichtet. Jetzt ist es einmal umgekehrt: Die Redaktion der alpinwelt, Vierteljahresschrift der Sektionen München & Oberland des DAV, hat uns gebeten, zur Herbstausgabe 2020 einen Text über den Stilwandel in der alpinen Architektur beizutragen. Alexander Hoschs Essay beschäftigt sich unter anderem mit Umnutzungen, mit kleinformatigen Wohnarchitekturen und mit Aspekten der Nachhaltigkeit und Langlebigkeit des neueren Bauens in den Bergen. Außerdem geht es darum, wie man etwa Retrobauten der 1970-er-Jahre unter den Gipfeln klug wiederverwenden kann. Und wie zwischen Steinriesen, Hügeln, Wäldern und Wiesen Flächenfraß und Monsterstadelei zu vermeiden sind. Unsere Bilder zeigen, von oben nach unten, die Hüttentürme des Hotels Tannerhof in Bayrischzell (Architekt Florian Nagler) von 2011, das Cover der aktuellen alpinwelt, die Kapelle Salgenreute (2017) in Krumbach, Vorarlberg (Architekt Bernardo Bader) und die Frühstücks-Kugel von 1972 inmitten des Tauerngebirges, oberhalb von Sportgastein am Liftende des Gebiets Ski Amadé (Architekt Gerhard Garstenauer).                          

Fotos: Alexander Hosch

Die alpinwelt gibt es nicht am Kiosk. DAV-Mitglieder bekommen sie zugeschickt. Sie liegt außerdem in zahlreichen Sportfach- und Klettergeschäften in und rund um München kostenlos aus. Oder Link zum Download des Heftes anklicken: www.alpenverein-muenchen-oberland.de .                          

Nach der Gaudi

Mit dem Auge eines Kabarettisten macht sich Lois Hechenblaikner immer wieder nach Ischgl auf: Um in den Schifahrermonaten den Ort und seine Spaßfolterexzesse zu dokumentieren. Seit 26 Jahren. Da tun sich ein paar Fragen auf:  Ist der Fotograf, was Musik und Ästhetik angeht, vielleicht selbst Masochist? Oder locken dort im Verborgenen die Fifty Shades of White? Die Antwort ist einfacher und komplizierter zugleich: „So etwas muss eine Einschreibung auf der Seelenlandschaft sein, sonst tust du dir das nicht an“, sagte der Tiroler gerade zur SZ und begründete seinen Zwang biografisch: Er sei – im Alpbachtal – selbst als Sohn einer Gastwirtsfamilie aufgewachsen.

Jetzt hat die Coronakrise das eigentlich multiple Problemphänomen der Après-Skistadelwelten auf ein einziges Stichwort reduziert, das inzwischen schon wie eine Diagnose klingt: Ischgl. Behördenversagen und Leichtfertigkeit sorgten für die Sofort-Ansteckung von Skifahrern aus aller Welt mit Covid-19 und für katastrophale Presse überall. Ein Vertrauensschock, von dem sich der Ort so schnell nicht erholen wird.

Nun ist gerade Hechenblaikners gleichnamiger Fotoband erschienen,  – wie die Vorgänger „Volksmusik“ und „Winter Wonderland“ beim Steidl Verlag. Der Fotograf konnte dafür aus 9000 Ischgl-Fotos wählen. Stilistisch ist er mit seiner Leica meist in den Spuren der anekdotischen und der dokumentarischen Pressefotografie des 20. Jahrhunderts unterwegs. Zeigen, was ist. Das klingt altmodisch, ist aber ein großes Kompliment. Weil der Tiroler nicht wie andere das tun, bereitwillig auf das Stilmittel der Ironie verzichtet – nur weil das neuerdings bei manchen als politisch unkorrekt gilt. Hechenblaikner urteilt mit jedem Bild. Die Fotos sind laut, der Inhalt kann grob und hässlich sein. Das Werk aber ist gut und subtil. Der Betrachter kann das heftige Urteil teilen. Oder lieber den perfekten Bildaufbau bewundern.

So durchdringt ein schaurigschöner Charme des Schrecklichen das Buch und alle seine Fotos von Betrunkenen und anderweitig Enthemmten. Jodelsuff, Trachtenexzesse und chauvinistische T-Shirt-Botschaften bevölkern darin die Tränken vor den Monsterpensionen, deren Gesamtheit Hechenblaikner neulich  – Stephen King lässt grüßen – in einem TV-Beitrag ein „alpines Shining“ genannt hat. Als Ästhet weiß er genau, wie gut den Schlechtwetter-Kompositionen des ewigen Graubraun, Grün und Weiß der Berge im Bild manchmal die grellen Farben der Bierträger, Anoraks oder in Vitrinen geparkten Luxusautos tun. Das macht er sich auf seiner Spurensuche zunutze. Nur für einzelne Aufnahmen holt er Optiken oder Techniken der Becher-Schüler zu Hilfe, wobei diese explizit künstlerischen Fotos mit ihrer Maximalästhetik eher als Thementrenner und wie vegane Beilagen wirken. Das Beef aber kommt blutig.

Bleibt eine Frage: Geht´s nächsten Winter in Ischgl wieder genau so weiter? Keiner weiß es. Fest steht nur, dass garantiert der Fotograf wieder kommen wird. Ein sehr gutes, ein wahrhaftiges Buch.

Text: Alexander Hosch

 

Lois Hechenblaikner: Ischgl, 2020, Steidl Verlag, 224 Seiten. Fotoband mit einem Essay von Stefan Gmünder. ISBN 978-3-95829-790-6,  34 Euro.

Auf den Gipfeln der Moderne

Bis zu acht Personen bietet Charlotte Perriands „Tonneau“-Hütte Unterschlupf. Entwurf von 1938, realisiert 2012

Spätentschlossene haben nur noch wenige Tage Zeit, um im TGV nach Paris zu sausen und sich in der Ausstellung „Charlotte Perriand: Inventing a New World“ (Fondation Louis Vuitton; bis 24. Februar 2020) von einer Pionierin der modernen Alltagswelt den Kopf verdrehen zu lassen.

L‘ Art de vivre?  Hat diese Stilikone komplett umdefiniert. Erdenschweres wird bei ihr federleicht, Kantiges geschmeidig, Kühles wohlig warm, Eckiges passt ins Runde. Und im Mittelpunkt steht immer der Mensch.

Mit ihren Savoyer Wurzeln trug die weltläufige Architektin und Designerin die Alpen im Herzen. Ihre Passion für das Skifahren und Bergsteigen spiegelt sich in etlichen in der Retrospektive aufgefädelten Projekten wieder und trieb sie an den Wochenenden regelmäßig aus dem Pariser Atelier: „Wir brachen freitagabends zum Jura oder in die Alpen auf und kehrten montagmorgens in das Atelier zurück, nicht immer in guter Verfassung, aber glücklich.“

Modell des Ski-Resorts Les Arcs. Fotoprojektion: Die zur offenen Landschaft hin ausgerichtete Apartmentanlage

Schirm oder Karussell? Dachkonstruktion der „Tonneau“-Schutzhütte

Perriand plante für eine Dutzend Menschen ebenso virtuos wie für Abertausende. So präsentiert diese Schau ihre in der Konstruktion an ein Karussell erinnernde „Tonneau“-Schutzhütte, die 1938 entworfen und 2012 von Cassina realisiert wurde – ebenso wie die französische Skistation Les Arcs (1967-1989). Den Massentourismus domestizierte Perriand, indem sie die lichtdurchfluteten Apartmenthäuser bogenförmig in die Landschaft integrierte und von jeder der zahlreichen Wohneinheiten einen unverstellten Blick in die Berge ermöglichte.

Übrigens, eine Handvoll Personen würde ausreichen, um die Refuges im Nu aufzubauen. Selbstverständlich packte Charlotte Perriand immer mit an (Foto unten).

Text und Fotos © Alexandra González

www.fondationlouisvuitton.fr/en/exhibitions/exhibition/charlotte-perriand.html