Besonders gut war sie als Pastellmalerin und Aquarellistin. Das beweist etwa das Bild Lissy von 1931 oben. Und das zeigt jetzt die ganze neue Kunstschau „Ich
als Irrwisch“ im Franz Marc Museum über Elfriede Lohse-Wächtler, die schon mit 16 ihre Heimat Dresden verließ, um die 1920er Jahre zeichnend, malend – und in selbstgeschneiderten Kostümen tanzend – in Hamburg zu
verbringen. In Bordellen, in Nachtcafés, in St. Pauli und am Hafen. Selbst brav verheiratet, fand sie mit anderen anscheinend sehr selbstverständlich zu einem künstlerischen Ausdruck, den man später Neue Sachlichkeit nannte.
Die Ausstellung versammelt 80 Werke, deren meiste in den Jahren 1929 bis 1931 entstanden. Was man begeistert sieht: Elfriede Lohse-Wächtler brannte in dieser kurzen Zeit als Künstlerin ein wahres Feuerwerk ab. Als hätte sie gewusst, dass sie nicht ewig aus dem Vollen schöpfen kann. Äußerst reif und beeindruckend wirklichtsnah sind ihre Selbstbildnisse, die ganz ohne Hybris und Inszenierung auskommen. Als Raucherin, als Bubikopf-Amazone, als Dame, als Girlie, als Kranke. Schon 1932 wurde die junge Frau dann mit der Diagnose Schizophrenie in eine Landesheil- und Pflegeanstalt eingewiesen, und 1935 unter den Nazis zwangssterilisiert. 1937 ereilte ihre Kunst die Brandmarkung als „entartet“, 1940 starb sie im Zuge der nationalsozialistischen Krankenmorde in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein.
Dass die Kunst hier im Vordergrund steht, und nicht das Schicksal, ist ein großer Verdienst dieser kleinen Retrospektive im Kocheler Expressionistenmuseum im Voralpenland. Die neusachliche Künstlerin wird als hochbegabte Interpretin ihrer Welt vorgestellt, die in manchen Aspekten Otto Dix oder George Grosz ebenbürtig war, deren Ruhm oder Erfolg sie jedoch nicht einmal im Ansatz je erlangte. Die Einteilung der Säle („Selbst“, „Typen“, „Patienten“, „St. Pauli“, „Hafen“, „Paare“, „Bruder“) ist nicht biografisch, sondern thematisch. Der Vergleich mit österreichischen Nachkriegskünstlerinnen wie Maria Lassnig
oder Kiki Kogelnik wird jemandem, der jetzt die Kocheler Ausstellung erleben darf, nicht als zu kühn erscheinen. Als Malerin und Seelenporträtistin war Else Lohse-Wächtler (1899-1940) ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus. Eine selbstbewusste Frau wie sie hätte so manche kleine Revolution von heute sicher gern früher angestoßen.
© Text und Fotos (Räume, Landschaft): Alexander Hosch
Elfriede Lohse-Wächtler, „Ich als Irrwisch“, Franz Marc Museum, Kochel am See. Die Ausstellung beginnt am Montag, 2. März, und dauert bis 9. Juni 2025, www.franz-marc-museum.de