Mal sitzt das Lächeln schief, mal wirkt es selig. Hier kräuselt sich ein Mund zur Schlangenlinie, dort werden Zähne gezeigt: Wer Stefan Sagmeisters Ausstellung BETTER im andalusischen Kulturzentrum La Térmica besucht, darf einen Tischtennisball bemalen, um seiner momentanen Verfassung Ausdruck zu verleihen, solange dieses kugelrunde Emoji dann zu den vielen anderen ins Regal gelegt wird. So kommt es, dass Málaga gerade das charmanteste Stimmungsbarometer der Welt besitzt, ersonnen von einem Grafikdesigner aus Vorarlberg, der seit vielen Jahren in New York lebt.
Heute bringt die milde Wintersonne die bunten Azulejos in den Gängen der ehemaligen Casa de Misericordia zum Leuchten. Dieses „Haus der Barmherzigkeit“ beherbergte gut 100 Jahre lang Waisenkinder, verarmte alte Menschen sowie andere Schutzbedürftige und ist seit 2012 ein spannendes Zentrum für Gegenwartskultur im einst industriell geprägten Süden der spanischen Stadt. Aus den Ateliers schallt Gelächter, und man kann sich im Augenblick kaum vorstellen, dass jemand ein übellauniges Gesicht zeichnet.
Doch das subjektive Wohlbefinden ist empfindsam wie eine Mimose. Ständig bedroht, so Stefan Sagmeister, durch die Aufmerksamkeitsökonomie der Medien. Diese kenne nur eine Währung: Bad News, die in atemraubendem Tempo auf uns einprasseln. Durch die verengte Sicht auf kurzfristige Phänomene und desaströse Ereignisse würde sich der Eindruck einer außer Kontrolle geratenen Welt voller Skandale und Katastrophen nur noch verstärken.
Sagmeister hat genug von dieser Schwarzmalerei und bietet ein einfaches Gegenmittel an: die Langzeitbeobachtung. Er erhebt Datensätze aus Archiven und Institutionen, um mit den gewonnen Zahlen tatsächliche Zustände zu beschreiben und den Blick zu weiten: „Viele Dinge, die den Menschen wichtig sind, haben sich überraschend gut entwickelt“.
Der 1962 geborene Bregenzer wäre nicht er selbst, würde er die aus seiner Glücksforschung geschürften Erkenntnisse nicht fulminant visualisieren: Auf kuriose, eklektische Bildträger, darunter von ihm designte Kleidung, Brillen und historische, in Auktionen günstig ersteigerte Ölgemälde, setzt er Infografiken, die den Nachweis liefern: Die Welt ist besser als sie meint. Und immer wieder zoomt Sagmeister beispielhaft in den Lebensraum Alpen.
In dem Werk White on White etwa kombiniert er den Entwurf für die Kuppel eines Barockpalastes, Schöpfer unbekannt, mit einem Balkendiagramm zur Anzahl der Personen, die in Tirol bei einem Lawinenunglück gestorben sind: Seit 1982 sich die Gesamtzahl fast halbiert. Auch die Betrachtung seiner eigenen Familie scheint Sagmeisters These von der allmählichen Verbesserung unseres Daseins zu stützen: Während die Ururgroßeltern Jakob und Johanna Sagmeister noch den Tod von sechs Kindern betrauern und mit der nackten Existenz ringen mussten, gehörte die nächste Generation schon zu den 15% alphabetisierten Zeitgenossen und erfreute sich an dem kleinen Wohlstand, den der eigene Antiquitätenladen in Bregenz ermöglichte. Mit den Sagmeisters ging es stets bergauf, bis hinein in die Designsphären des nicht mehr ganz so jungen Sprosses.
Absolut neu ist Stefan Sagmeisters Glücksformel nicht. Seit der Antike vertrauen Philosophen wie Aristoteles und Epikur auf die Kraft des tröstlichen Denkens. Ein glückliches Leben ist ein Leben, das sich am Guten orientiert.
Immerhin, Sagmeisters Ringen um eine angewandte Ästhetik des Rosigen bescherte ihm exquisite Gestaltungsaufträge – von Triest über Wien bis in die Ozark Mountains. Die kreativen Früchte sind nun in der Ausstellung zu sehen: Für die Manufaktur J.&L. Lobmeyr schuf er eine Serie von mit tropischen Blättern handbemalten Kristallgläsern. Doch sein Meisterstück ist die Kriechtierparade im Ledger building von Bentonville, Arkansas, einem Mountainbike-Mekka in den USA.
Die sechs Stockwerke dieses Coworking-Space sind durch eine befahrbare Außenrampe verbunden. Man radelt gewissermaßen bis zu seinem Schreibtisch und rollt dabei über 100 heimische Insekten. Ohne sie zu beschädigen freilich, denn die Kreaturen wurden von der Mayersch’en Hofkunstanstalt in München kongenial aus Mosaiksteinen gefertigt und hier minuziös am Boden installiert. Zwischen ihren Zangen oder auf dem Rücken transportieren die Tiere Juwelen in den schönsten Schmuckfarben von Rubinrot bis Smaragdgrün. Endstation ist die Rooftop-Terrasse, wo die abgelegten Steine Stefan Sagmeisters Mantra formen: Now is better.
Text und Fotos © Alexandra González
Ausstellung BETTER. Stefan Sagmeister noch bis 2. März 2025 im Kulturzentrum La Térmica, Málaga