Alpenwildschön

Isel, Soca, Ammer, Lech, Drôme – die haben was gemeinsam. Sie sind unter den letzten wilden Flüsse in den Alpen, mäandern streckenweise noch natürlich, unbegradigt, ohne Beton. Sie entsprechen dem Klischee, das wir uns von einer Fluss-Architektur der Natur erträumen, aber zu selten vorfinden, da sich immerzu alles nach der Wasserwirtschaft, der Energiewirtschaft, der Landwirtschaft oder anderen Erwerbswirtschaften richten muss. Die neue Sonderausstellung „gerade wild. Alpenflüsse“ im Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins in München – übrigens direkt an dem in den letzten Jahren quasi wieder „ausgewilderten“ Fluss Isar gelegen – erklärt mit einem Papierrollendesign und ein paar Zahlen und Fotos Erschreckendes: Nämlich, dass Europas Flüsse lediglich im ein(!)stelligen Prozentbereich ökologisch gesund sind. Ist das Fluss-Kultur?

 

Da denken wir gleich voller Hoffnung an den Tagliamento in Nordostitalien, mit reichlich Auenland, den letzten Wildfluss seiner Art in  Mitteleuropa. Innerhalb eines Tages kann er anschwellen von 30 Meter Breite auf 1000 – das ist 1 Kilometer… Auch erschreckend, ja. Andererseits sind seine Biodiversität und Dynamik enorm. Aber die anderen: Wie richten wir das wieder? Alle Alpenflüsse, ausnahmslos, sind bedroht – durch Pumpenspeicherkraftwerke etc.  Wann kümmern wir uns darum?      Text und Fotos: Alexander Hosch

Bis 17. März 2019

Ur-Hölle und Berghotel

150 Jahre Wege und Schutzhütten. Was die Menschen in den Ostalpen gebaut haben, versammelt jetzt ein neues zweibändiges Werk, herausgegeben vom Deutschen Alpenverein, dem Österreichischen Alpenverein und dem Alpenverein Südtirol. Man erfährt, dass in diesen eineinhalb Jahrhunderten über 500 Hütten entstanden und 30.000 Kilometer Wege gebaut und gepflegt wurden. Die zwei Bücher sind das Ergebnis eines gemeinsamen Forschungsprojekts zur Kulturgeschichte und Architektur, welches die Alpenvereine gemeinsam vor drei Jahren begannen. Band 1 enthält Aufsätze und Fotoserien von Spezialisten zur Kulturhistorie, zu Bau und Erhalt, zum Denkmalcharakter und zu neuen ökologischen Architekturformen, zur Sozialgeschichte zwischen Wirt und Gästen, aber auch zu Politik und Hütten-Logistik.

Klar wird zum Beispiel, dass die Hütten über die Jahre immer größer werden mussten. Die Buch-Macher, darunter die Archivare der Alpenvereine, zeigen mit Fotos, Modellen, Beschreibungen und Zeichnungen auch, dass nicht jeder Satteldach-Traum, der auf dem Foto klein und herzig aussieht, tatsächlich ein Idyll ist, das sich auch in die Landschaft einfügt. Man kann nachlesen, wie schwierig es in den politischen Wirren nach dem 2. Weltkrieg gewesen sein muss, die geldfressenden Hütten entlegener Sektionen des Alpenvereins (“Dresdner Hütte”, “Magdeburger Hütte”) in der veränderten Welt bewohnbar zu halten. Oder man lernt, wie sich weit entfernt lebende Städter in den Bergen verwirklichten und mit Tatkraft am Wege- und Hüttenbau beteiligten,. Der nämlich blieb stets Aufgabe der einzelnen Sektion. Immer gab es dabei Diskussionen unter den Mitgliedern und Funktionären darüber, was angemessen ist: mehr Komfort oder mehr Zurückhaltung gegenüber der Natur. Band 2 liefert dann eine wertvolle Übersicht sämtlicher 569 ostalpinen Schutzhütten, die im Bereich der drei genannten Alpenvereine in den letzten eineinhalb Jahrhunderten gebaut worden sind. Schönes, nützliches Werk!

In der zugehörigen neuen Ausstellung im Alpinen Museum auf der Münchner Praterinsel stehen gegenüber den Stationen in Innsbruck und Bozen deutsche Hütten im Vordergrund, alte und ganz junge. So erhielt, um ein Beispiel zu nennen, die Fiderepasshütte der Sektion Oberstdorf am Eingang des Mindelheimer Klettersteigs 2013 einen zurückhaltenden Relaunch, indem Architekt Rainer Schmid die 40 Schlafplätze elegant unter die Terrasse verlegte. Im Garten des Alpinen Museums wurde andererseits vor Kurzem die jüngst unter der Zugspitze abgebaute Höllentalangerhütte von 1894 (“Ur-Hölle”) originalgetreu wieder aufgebaut – eine Dokumentation von Geschichte. Nicht mehr vorhandene Konstruktionselemente sind mit Eisen materiell abgesetzt, um strukturelle Eingriffe klarzumachen. Die Einrichtung – Stühle, Bänke, ein Tisch, Bettenlager für zehn Personen – wurde dagegen in der ursprünglichen Form neu geschreinert, was sich im helleren Holzton ausdrückt. Nebenan im Museum sind Modelle der Hütten, Fotografien, Gemälde, Möbel und Gebrauchsgerät zu sehen, sie schlagen den Bogen von der kargen frühen Unterkunft um 1870 zu den heutigen “Berghotels”.              Alexander Hosch

Hoch hinaus! Wege und Hütten in den Alpen, 2 Bände, 674 Seiten. Herausgegeben von DAV, ÖAV und AVS, Böhlau Verlag, 49,90 €, ISBN 978-3-412-50203-4. Sonderausgabe für Alpenvereinsmitglieder im DAV Shop und im Alpinen Museum: 34,90 €

Die gleichnamige Ausstellung im Alpinen Museum dauert bis 8. April 2018. https://www.alpenverein.de/Kultur/