Für immer verbunden

Die Geburt einer Glocke steht am Ende eines nervenzehrenden und schweißtreibenden Prozesses. Erst, wenn sie nach dem Guss abgekühlt aus der Erde gegraben wird und der erste Anschlag erfolgt, wissen die Handwerker, ob sie volltönend und in der richtigen Frequenz erklingt. Zahlreiche dieser Wunschkinder hat die Erdinger Glockengießerei zwischen 1850 und 1971 zur Welt gebracht. Für ihren Wohlklang gefeiert wurden die tonnenschweren Bronzeriesen des Traditionsbetriebs überall. Das tontiefste Exemplar Bayerns (nach der Christus-Salvator-Glocke in Kloster Scheyern) ist die Jubiläumsglocke im Turm von St. Peter in München, von dem man bei klarem Wetter die Berge sieht. Sie stammt ebenso aus Erding wie das Geläut in der Benediktinerabtei Santa Maria de Montserrat bei Barcelona oder die Marienglocke der voralpinen Klosterkirche Andechs.

Seit vergangenem Herbst zieht ein stilisierter Glockenturm auf der Erdinger Fehlbachbrücke die Blicke auf sich und ruft Erinnerungen an dieses faszinierende Metier wach. Der Münchner Künstler Christian Hinz ist dafür tief in die Historie der Erdinger Gießerei eingetaucht.

Seine Skulptur besteht aus zwei Edelstahlplatten, die im Kreuz zueinander auf der Brücke verankert und miteinander verschweißt wurden. Gemeinsam formen die beiden Platten im oberen Bereich die Silhouette einer Glocke. In der Nacht illuminiert, verschwimmt die Skulptur beim Vorbeifahren zu einer leuchtenden Bewegung und bringt viel Magie in das ländliche Erding.

Und es gibt noch einen Grund, warum uns dieses Kunstwerk trotz seines kühlen Materials so herzerwärmt. In den Rundstäben hat Christian Hinz 1500 Schlösser eingehängt und auf 500 davon die Namen von Glockengießern, Glocken, deren Größe, Schlagton und Standort geprägt. Allesamt aus der Erdinger Gießerei, versteht sich. Wer mag, kann sich bei den verbleibenden Vorhängeschlössern als Poetin oder Poet betätigen und einen Spruch von Künstlerhand eingravieren lassen. Viele Liebesbekundungen sind bereits darunter. Reichlich Neugierde hat bei Christian Hinz eine Zahlenreihe erzeugt, die ein Erdinger Bürger in Auftrag gegeben hat: „Niemand außer ihm weiß, was dieser Code bedeutet.“

Es empfiehlt sich – wie bei einem Tattoo – reiflich zu bedenken, welche Message man über den Fluten des Fehlbachs zu hinterlassen wünscht, denn anders als die Legionen von Liebesschlössern an Brücken, werden diese hier nicht aufgeknackt und entsorgt, sondern sind für den Verbleib geschaffen.

Ich habe übrigens einen Vers aus Juan Ramón Jiménez „Giralda“ verewigen lassen. Das Gedicht über den Glockenturm der Kathedrale von Sevilla bedeutet mir viel, weil mein Vater in dessen Schatten aufwuchs. Immer noch wundere ich mich, wie Christian so viel Text auf dieser winzigen Fläche unterbringen konnte. Auch das gehört zu den Geheimnissen, die diese moderne Hommage an das Glockengießerhandwerk umflort.

Text: Alexandra González

Fotos © Christian Hinz und Alexandra González

https://christian-hinz.com/glockenturm/