Alpine Schneelust

„Schneelust“? Ihr großes Vergnügen mit der weißen Pracht des Winters haben immer noch mindestens genauso viele Leute wie früher! Wie aber kann man sich sein gutes Gewissen bewahren und dabei dennoch den ganzen Skispaß behalten?

Ein nagelneues Buch von Polyglott aus dem Verlag Gräfe und Unzer untersucht jetzt die spannendsten kleinen und großen Skigebiete Europas nach Aspekten der Nachhaltigkeit. Wo führt die Bahnlinie bis ins Ortszentrum oder sogar direkt an den Skilift? Welche tollen Plateaus und Pisten in den Alpen müssen überhaupt nicht künstlich beschneit werden? Wer verbannt Verbrennerautos erfolgreich aus seinem Skidorf? Und welcher Hotelier oder Gastwirt bietet seinen Gästen ausschließlich Verpflegung von den Erzeugern gleich nebenan auf dem Teller? 30 alpine Orte und Ski-Terrains zwischen Südtirol, den französischen und Schweizer Alpen, in Tirol, im Allgäu und im bayerischem Oberland werden von sieben aus FAZ, F.A.S. und SZ bekannten, die Natur und den Skisport liebenden Reisejournalisten auf ihre Qualitäten geprüft. Alexander Hosch, einer der Mitbetreiber unseres alpinen Spezialblogs, war dabei und hat drei Texte über die hochgelegenen Pistenareale Garmisch-Partenkirchens, des Gasteiner Tals und von Isola 2000 in Südfrankreich beigesteuert. Dazu gibt es einen kleinen Ausreißer nach Norwegen.

Wer den Planeten bewahren möchte, aber trotzdem weiterhin mit Freude durch den Schnee carven will, für den sind die vielen Tipps dieses hochaktuellen Buchs sehr geeignet.

SCHNEELUST. Die schönsten Ziele für nachhaltigen Wintersport in Europa, Herausgeber Andreas Lesti, bei Polyglott, seit 5. Oktober 2023 im Handel, ISBN 978-3-8464-1000-4  29 Euro.

Nach der Gaudi

Mit dem Auge eines Kabarettisten macht sich Lois Hechenblaikner immer wieder nach Ischgl auf: Um in den Schifahrermonaten den Ort und seine Spaßfolterexzesse zu dokumentieren. Seit 26 Jahren. Da tun sich ein paar Fragen auf:  Ist der Fotograf, was Musik und Ästhetik angeht, vielleicht selbst Masochist? Oder locken dort im Verborgenen die Fifty Shades of White? Die Antwort ist einfacher und komplizierter zugleich: „So etwas muss eine Einschreibung auf der Seelenlandschaft sein, sonst tust du dir das nicht an“, sagte der Tiroler gerade zur SZ und begründete seinen Zwang biografisch: Er sei – im Alpbachtal – selbst als Sohn einer Gastwirtsfamilie aufgewachsen.

Jetzt hat die Coronakrise das eigentlich multiple Problemphänomen der Après-Skistadelwelten auf ein einziges Stichwort reduziert, das inzwischen schon wie eine Diagnose klingt: Ischgl. Behördenversagen und Leichtfertigkeit sorgten für die Sofort-Ansteckung von Skifahrern aus aller Welt mit Covid-19 und für katastrophale Presse überall. Ein Vertrauensschock, von dem sich der Ort so schnell nicht erholen wird.

Nun ist gerade Hechenblaikners gleichnamiger Fotoband erschienen,  – wie die Vorgänger „Volksmusik“ und „Winter Wonderland“ beim Steidl Verlag. Der Fotograf konnte dafür aus 9000 Ischgl-Fotos wählen. Stilistisch ist er mit seiner Leica meist in den Spuren der anekdotischen und der dokumentarischen Pressefotografie des 20. Jahrhunderts unterwegs. Zeigen, was ist. Das klingt altmodisch, ist aber ein großes Kompliment. Weil der Tiroler nicht wie andere das tun, bereitwillig auf das Stilmittel der Ironie verzichtet – nur weil das neuerdings bei manchen als politisch unkorrekt gilt. Hechenblaikner urteilt mit jedem Bild. Die Fotos sind laut, der Inhalt kann grob und hässlich sein. Das Werk aber ist gut und subtil. Der Betrachter kann das heftige Urteil teilen. Oder lieber den perfekten Bildaufbau bewundern.

So durchdringt ein schaurigschöner Charme des Schrecklichen das Buch und alle seine Fotos von Betrunkenen und anderweitig Enthemmten. Jodelsuff, Trachtenexzesse und chauvinistische T-Shirt-Botschaften bevölkern darin die Tränken vor den Monsterpensionen, deren Gesamtheit Hechenblaikner neulich  – Stephen King lässt grüßen – in einem TV-Beitrag ein „alpines Shining“ genannt hat. Als Ästhet weiß er genau, wie gut den Schlechtwetter-Kompositionen des ewigen Graubraun, Grün und Weiß der Berge im Bild manchmal die grellen Farben der Bierträger, Anoraks oder in Vitrinen geparkten Luxusautos tun. Das macht er sich auf seiner Spurensuche zunutze. Nur für einzelne Aufnahmen holt er Optiken oder Techniken der Becher-Schüler zu Hilfe, wobei diese explizit künstlerischen Fotos mit ihrer Maximalästhetik eher als Thementrenner und wie vegane Beilagen wirken. Das Beef aber kommt blutig.

Bleibt eine Frage: Geht´s nächsten Winter in Ischgl wieder genau so weiter? Keiner weiß es. Fest steht nur, dass garantiert der Fotograf wieder kommen wird. Ein sehr gutes, ein wahrhaftiges Buch.

Text: Alexander Hosch

 

Lois Hechenblaikner: Ischgl, 2020, Steidl Verlag, 224 Seiten. Fotoband mit einem Essay von Stefan Gmünder. ISBN 978-3-95829-790-6,  34 Euro.