In Dantes Höhle

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Agnolo Bronzino, „Dante schaut auf den Läuterungsberg“, 1530

Vögel zwitschern, in der Luft liegt der hypnotische Honigduft des slowenischen SočaHornkrauts, die milde Frühlingssonne dringt noch mühelos durch das halbentfaltete Blätterdach der Hopfenbuchen. Ich kann mir auf meinem Rundgang durch die Tolminer Klammen beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb Dante Alighieri die sprachmächtigste Jenseitswanderung der Literaturgeschichte am Karfreitag 1300, also vor ganz genau 717 Jahren, ausgerechnet in diesem freundlichen Feenwald beginnen ließ. Bis ich mich selbst auf wackeligen Beinen und nur im fahlen Schein der Handytaschenlampe einige Meter in den engen, finsteren Eingang zur Höhle Zadlaška Jama hineintaste.

Hier also soll Dante die Inspiration zur Beschreibung des Inferno in seiner „Göttlichen Komödie“ gefunden haben – jenem aberwitzig steil terrassierten Höllentrichter, der zum Erdmittelpunkt hinabstürzt. Er konnte kaum gewusst haben, dass sich das 1140 Meter lange Höhlensystem im Triglav-Nationalpark 41 Meter tief in den Berg bohrt, denn erst 1922 wurden die Kavernen erforscht. Doch dem Verseschmied, der mit seinem Meisterwerk den gesamten metaphysischen Kosmos des Christentums durchmessen hat, reichte ein kurzer Blick in den karstigen, vom Wasser des Isonzo-Gletschers zerklüfteten Fels, um die Pforten seiner Fantasie weit aufzustoßen.

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Gustav Doré, „Dante verloren im Wald (Canto I der Göttlichen Komödie, Inferno)“

Was aber trieb den von den Papisten seiner Heimatstadt Florenz zum Teufel geschickten Dichter in diese einsame Gegend? Ganz einfach, er hatte bei seinem Freund Pagano della Torre, dem Patriarchen von Aquileia Zuflucht gefunden. Ihn besuchte der verbannte Poet auf dessen Festung Kozlov Rob, die heute  nahe des slowenischen Alpenstädtchens Tolmin als Burgruine Touristen anlockt.

Zurück im Tageslicht nehme ich mir vor, Kurt Flaschs preisgekrönte Neuübersetzung der „Göttlichen Komödie“ zu lesen. Sie erschien vor zwei Jahren als Taschenbuch. Vielleicht hat uns Dante nicht nur großes Lesevergnügen zu bieten, sondern in seiner gesinnungsethischen Empörung über Habgier, Maßlosigkeit und die Skrupellosigkeit von Politikern auch einen Schlüssel zur Gegenwart.

Alexandra González

Die Dantehöhle ist über den zahlungspflichtigen Rundweg durch die Tolminer Klammen erreichbar. Sie sollte nur mit einem Führer und in geeigneter Höhlenausrüstung besucht werden. In der Schlucht unterhalb des Eingangs, am Zusammenfluss von Tolminka und Zadlaščica, befindet sich auf  einer Meereshöhe von 180 Metern der niedrigste Punkt der Triglav-Nationalparks. Weitere Info: www.dolina-soce.com/de/tal_der_entdeckungen/naturliche_sehenswurdigkeiten/2012042011541208/

Zwei Grenzland-Ufos am Inn

Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen. Und schöne ältere Bauten, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.  Straßenrandperle #7

Objekte  Altes Passionsspielhaus und Neues Festspielhaus / Ort  Mühlgraben 56a, A-6343 Erl /  Koordinaten N 47° 40.390’ E 012° 10.260’/ Bauzeit 1956-59 und 2010-12 / Bau-Grund 1956 Wir zeigen es den Oberammergaunern!  / Bau-Grund 2010  Wir zeigen den Münchnern, wie man ein Konzerthaus baut! / Aktuelle Nutzung Tiroler Festspiele im Sommer 2017 und im Winter 2017/18; nächste Passion 2019; Einzeltermine übers Jahr / Öffnungszeiten und Tickets www.tiroler-festspiele.at ; www.passionsspiele.at / Schönster Augenblick  Zur blauen Stunde 

Warum man immer dran vorbeifährt:  Reine Nervosität. Man ist schon fast in Österreich, hat aber immer noch kein Pickerl für die kostenpflichtige Autobahn gekauft. Noch fünf Kilometer, dann ist es strafbar. (Außerdem war früher die Sicht ganz frei – heute baut sich nach einem superkurzen Blick auf die Architekturjuwelen gleich der Lärmschutzzaun auf.)

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss!   Um am Karfreitag (14.April) die Matthäuspassion oder im Juli ein Konzert der Tiroler Festspiele zu genießen. Das Programm zwischen Kammermusikabend und großer Oper reicht von Beethoven bis Mozart und Rossini. Und vor allem gibt es VIEL Wagner. Den Ring und mehr. Aber eigentlich muss man schon allein wegen der Architektur hin. Der größte Schatz des weißen alten Passionsspielhauses ist die gebogene Lochfassade aus Sichtbeton. Erl gehört neben Oberammergau zu den ältesten Passionsspielorten der Welt. Die Tradition ist seit 1613 nachweisbar. Bei den Spielen wirkt alle sechs Jahre das ganze Dorf mit. Und für das 1933 abgebrannte Haus wurde in den 1950ern ein couragiertes neues Theater im Zeitstil erbaut. Unwillkürlich ertappt man sich dabei, wie man nachguckt, ob nicht doch irgendwo Le Corbusier als Architekt vermerkt steht… Aber nein, der hieß Robert Schuller und war in Innsbruck Schüler von Clemens Holzmeister. So wie der Bau von 1956 eine kleine Sensation für das alpine Mitteleuropa der Wirtschaftswunderzeit darstellte, wurde dies auch das neue Festspielhaus, ab 2010 von den Wiener Architekten Delugan Meissl gleich daneben errichtet. Die 1997 gegründeten Tiroler Festspiele hatten ein gut geheiztes Domizil für ihre zweite Jahreszeit gebraucht – die Winterfestspiele. Durch den 36 Millionen Euro teuren schwarzen Diamanten, der das Festspiel-Duo nahe Kufstein nun optisch zum Yin und Yang der Musikwelt macht, emanzipierte sich Erl weiter von den Musikmetropolen München, Salzburg und Wien. Nicht nur architektonisch, sondern auch was die Superlative angeht: Das neue Ufo hat den größten Orchestergraben der Welt. So werden die nächsten Jahre Musik- und Architekturpilger aus aller Welt und vor allem aus München hierher in die alpine Provinz kommen. Um zu bewundern, wie man – ganz ohne großen Terz – so ein Konzerthaus baut.

Wie man hinkommt:  Von der A 8 München – Salzburg beim Inntaldreieck auf die A 93 Richtung Kufstein abbiegen. Ausfahrten Nußdorf/Brannenburg oder Oberaudorf/Niederndorf. Mit dem Auto liegt Erl von München, Salzburg und Innsbruck jeweils grob nur etwa 45 Minuten entfernt.

(copyright für Idee, Text und Fotos: Alexander Hosch & Sabine Berthold)

 

Dominik Graf: Die Sieger (1994)

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit: Die heimlichen Alpenfilme #6

Der 12-Millionen-Mark-Film war Kassengift und selbst sein Regisseur Dominik Graf hielt ihn „im Kern für eine Ruine“. Trotzdem stecke alles drin, was ihn am Kino interessiere. Figuren wie Gespenster in einem Schattenreich aus Politik, Überwachung und organisiertem Verbrechen. Deutschland in den frühen Neunzigern, eine kalte Republik der Autobahnen, Raststätten, Glaspaläste und Besprechungsräume. Die Jungs vom SEK sind harte Knochen, aber mit Herz. Man lernt ihre Rituale kennen und erahnt den zerbrechlichen Zusammenhalt. Bildergebnis für Die Sieger Dominik Graf DVD EurovideoHerbert Knaup spielt mit einem noch ganz unverbrauchten Gesicht den Düsseldorfer Polizeihauptmeister Karl Simon, der einem Komplott auf die Spur kommt. Ein Mann wird entführt, und die Übergabe des Lösegeldes soll ausgerechnet in den Bergen stattfinden. Jetzt sattelt der nicht eben wortkarge Polizei-Thriller in der Tradition Sidney Lumets komplett auf das Action-Genre um. Showdown an der Karwendelbahn. Das nächtliche Mittenwald liegt wie ein goldglänzender Nibelungenschatz im Tal. Hoch oben an der Bergstation wartet das Grauen.   Alexandra González