Von Hollywood nach Leukerbad

Rassistische Kundgebung in Little Rock. Aus dem oscar-nominierten Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“. Photo courtesy of Magnolia Pictures.

„Moonlight“ hat also bei der Oscar-Verleihung das Rennen gemacht. Dieser Film porträtiert schwarzes, schwules Leben in seiner Vielschichtigkeit, seinem Stolz und seinem Schmerz. Ein Sujet, das es im glamourversessenen Hollywood ganz und gar nicht leicht hat. Das macht diesen Sieg noch süßer. Auch in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ waren drei Produktionen nominiert, die sich mit dem Thema Schwarzsein in den USA befassen. Am Ende mussten sich die besseren – „I Am Not Your Negro“ und „13th“ – gegenüber „O.J.: Made In America“ geschlagen geben. Ihre furiose Kraft beziehen diese Filme gerade jetzt aus einer erschreckenden Nähe zur amerikanischen Gegenwart. Daher sprengen sie mühelos die Fesseln ihrer Identity-Politics-Nische.

Plakat zum Film. Photo courtesy of Magnolia Pictures.

„I Am Not Your Negro“ erzählt die Geschichte Amerikas mit den Worten des großartigen Autors und Bürgerrechtlers James Baldwin (1924 – 1987) neu. Die Basis für diesen Film ist sein 1979 begonnener, letzter, doch unvollendet gebliebener Text „Remember This House“. Um sein Lebensthema – die scharfsinnige Kritik an der rassistischen Gesellschaft – zu formulieren, musste Baldwin seine Heimat jedoch zunächst einmal verlassen.

Mit nur 25 Jahren zieht er nach Paris. Im Winter 1951 schlupft er dann mit seinem Schweizer Liebhaber Lucien Happersberger in Leukerbad unter. Ein schwuler, dunkelhäutiger Bohèmien in einem Walliser Nest – kann das gut gehen? Erst amüsiert sich Baldwin über den Hauch von Erstaunen, Neugier oder auch Entrüstung, der ihm stets folgt, dann legt er los. Er vollendet in Leukerbad nicht nur seinen ersten amerikanischen Roman „Go Tell It On The Mountain“ über die Geheimnisse einer unterdrückten schwarzen Familie in der Großen Depression. Später packt er seine Erlebnisse auch in einen weltklugen Essay über Rassismus: „Ein Fremder im Dorf“ ist vor wenigen Jahren, neu ins Deutsche übersetzt, in der edition sacré erschienen.

Er sei einfach ein lebendes Wunder, stellt Baldwin fest, als die Kinder ihn mit Schneebällen bewerfen und die Älteren ihm belustigt ins Haar fassen. „Im Scherz schlug man mir vor, ich solle es wachsen lassen und mir einen Wintermantel daraus machen.“ Aber Vorsicht, Baldwin ist für billige Agitation nicht zu haben, sondern eine smarter Analytiker des ungleichen Blicks, mit dem sich Schwarze und Weiße gegenüberstehen. „Im Grunde existiert der Schwarze als Mensch für Europa nicht. In Amerika jedoch war er selbst als Sklave ein unübersehbarer Teil des allgemeinen gesellschaftlichen Gefüges, und kein Amerikaner konnte es umgehen, ihm gegenüber Stellung zu beziehen.“ Gedanken von verstörender Aktualität. Und die Academy of Motion Pictures Arts and Sciences (sie vergibt die Oscars) leistet sich in diesem Jahr mit ihrem vielfältigen Reigen aus Filmen von und über Afroamerikaner eine seltene Hommage an die Wirklichkeitsnähe.   Alexandra González

 

I Am Not Your Negro wird ab 30. März 2017 in den deutschen Kinos zu sehen sein.    

James Baldwin Fremder im Dorf — Ein schwarzer New Yorker in Leukerbad. Édition Sacré, 2012. Illustrationen: Blanc de Titane. 14.- SFR. / 11 €

 

Superweiß

Das Besondere an den Bildern von Walter Niedermayr liegt in der Entsättigung der Farben. Der Schnee, das Foto, das Bild ist nach diesem Eingriff oft so porentief weiß, dass man es selbst dann nicht mehr für wirklich hält, wenn man gerade aus einem tiefverschneiten Alpenort vom Skiurlaub gekommen ist. Real wird abstrakt. So ist es dem Südtiroler recht.

Das unglaublich helle Weiß des Schnees ist das Markenzeichen des Bozener Fotografen. Superweiß. Dazu die kleinen Skifahrer, die riesenhaften Berge, einzelne farbige Akzente – Schneestangen, Anoraks. Auf diese Weise hat Niedermayr in seinen Großformaten vor 15 Jahre Titlis in der Schweiz in Szene gesetzt und, zehn Jahre später, das amerikanische Skimekka Aspen in Colorado. Seine neueste Serie beschäftigt sich mit einem anderen Skimekka, Lech am Arlberg. Dafür wurde Niedermayr von der Vereinigung „allmeinde commongrounds“ 2015/16 eingeladen, in vier einwöchigen Aufenthalten „Raumaneignungen“ abzubilden.

Das Fazinierende ist auch hier, dass seine Fotografien zwar topografische Klarnamen wie LECH HEXENBODEN haben, aber nie wirklich wahr wirken. Das Bild ist stets mehr Kunst als Foto. Es ist komponiert, auch das Bergrelief will nicht Abbildung sein. Das Panorama der Gipfel hat mit den Skifahrern nichts zu tun. Und auch nicht mit dem Schnee, der großen Masse weißer Farbe, die auf vielen Bildern den meisten Platz einnimmt. Weder „stimmen“ die Proportionen, noch die Schatten, noch die Farben. Und wenn Niedermayr die Bilder zu Diptychen zusammenstellt, lässt er verschiedene Winkel und Blickweisen aufeinanderprallen. Das sorgt für zusätzliche Irritation. Es verstärkt die abstrakte Position des Fotografen, der von hoch droben auf die Objekte seines Schaffens blickt – wie ein Theaterdichter auf das Bühnengeschehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Er habe die Farben der Alpen nicht ausgehalten, erklärt der Bozener, der selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, im abgedruckten Interview, „es war einfach zu klischeehaft“. So begann es. Durch die Entsättigung nahm Niedermayr seinen Foto-Alpen das Saftige und brachte durch diese Verfremdung den Minimalismus ins Spiel. Die bevölkerten Berge, die dennoch immer sein Thema sind, finden durch das Weiß (in sommerlichen Bildern: das entsättigte Grau oder Grün) zur ursprünglichen Stille zurück. Die Kritik wird zu Poesie.

Norwegen, Neuseeland, Dolomiten – es sind immer touristische Landschaften, die Niedermayrs Interesse wecken. Meistens sind diese Fotos, wie gesagt, voller Schnee. Die Menschen durcheilen ameisenhaft die superweißen Prärien – als Skifahrer, als Touristen. Man sieht auch, ebenfalls klein, ihre Schöpfungen: Brücken, Skilifte, Schutzhütten, Werbebanner. Enorm sind dagegen die Gipfel. Und die Distanz. Sie gibt den Bergen ihre Größe zurück, und ihre Würde. Die Natur wirkt riesengroß, die Menschen winzig klein.

Nach allem, was Walter Niedermayr dazu sagt, verändert er seine Fotos nicht digital, sondern verkürzt nur den Zeitraum der Belichtung. Das lässt sie „zu hell“ erscheinen. Man möchte im ersten Moment gern die Sonnenbrille aufsetzen, so wie beim Skifahren, wenn eine gleißende Schneefläche blendet. Dann aber mag man gar nicht mehr wegschauen.

Alexander Hosch

www.hatjecantz.de

Walter Niedermayr: Raumaneignungen – Lech 2015/2016, Hatje Cantz, 2017, 39,80 Euro.

Dies ist das sechste Buch, das Niedermayr zusammen mit Hatje Cantz herausgibt. 49 Diptychen in individuellen Größen werden darin gezeigt, die meisten messen im Original zwischen 100 und 200 Zentimetern (plus einige kleinere/ größere). 1 Essay, 1 Interview. Das Motiv Lech Monzabonalpe 05 wird in der Edition Hatje Cantz für 1.500 € angeboten