Mondäne Lichtblicke in Arco

IMG_1234Manchmal möchte man in Arco, dem sympathischen Kletterdorado nördlich des Gardasees, einfach nur die Augen schließen vor den in bunte Funktionskleidung gepressten Massen. Wir flüchten daher zu gerne in die Galleria Civica G. Segantini, wo noch bis 19. Oktober die Ausstellung „Divisionismi dopo il Divisionismo“ zu sehen ist. Diese italienische Kunstströmung begann Ende des 19. Jahrhunderts mit der Atomisierung von Form und Farbe. Für die nächste Generation – die Futuristen – war sie bahnbrechend. Während die französischen Pointillisten beim Nebeneinandersetzen von Klecksen, Linien und Punkten wissenschaftlichen Prinzipien folgten und eine gewisse Monotonie erzeugten, gelang den italienischen Divisionisten wie Giovanni Segantini, Luigi Bonazza und Teodoro Wolf Ferrari eine freiere Anwendung der Maltechnik: Licht, Flirren, Strahlkraft, Farbe – von all dem mehr.vignette_2_stadt

Wer sich Zeit nimmt für die Schau in dem bezaubernden Palazzo dei Panni aus dem 17. Jahrhundert, wird mit Entdeckungen belohnt wie dem wenig bekannten Triester Vito Timmel und Luigi Bonazzas Porträt der bildschönen “Gigina“, die in ihrem Dreißiger-Jahre-Look samt langer Perlenkette der neuesten Vogue entstiegen sein könnte. Nach diesen mondänen Lichtblicken ist man wieder gut gewappnet für die Realität draußen auf der Straße. Alexandra González

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Divisionismi dopo il Divisionismo. La pittura divisa da Segantini a Bonazza. MAG Museo Alto Garda Arco, Galleria Civica G. Segantini. Den hübschen Katalog (10 ) gibt es leider nur in italienischer Sprache. www.musealtogarda.it

Alfred Hitchcock: The Man Who Knew Too Much (1934)

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit: Die heimlichen Alpenfilme #4

The Man Who Knew Too Much stellte Peter Lorre 1934 erstmals in einer internationalen Produktion vor. Der deutsche Schauspieler ist in Hitchcocks Engadin-Film höchst sehenswert (auch wenn ihn die Coverzeichnung der DVD hier irritierenderweise als Mörder „M“ in Fritz Langs gleichnamigem Schocker zeigt)

vignette_film4_rz Dieser englische 75-Minuten-Thriller entstand kurz nach der Stummfilmzeit. Und somit lange ehe der Regisseur Alfred Hitchcock seine Hollywood-Klassiker drehte. Dennoch ist The Man Who Knew Too Much schon ein echter Hitchcock geworden. In eine Spionage-Handlung wird subtil das psychologische Drama einer Londoner Familie, die ihr Kind retten will, hineingestrickt. Beim Winterurlaub in St. Moritz haben Mr. und Mrs. Lawrence (Leslie Banks und Edna Best) den charmanten französischen Skispringer Louis kennengelernt, der während des Tanzes mit der Ehefrau Lawrence durch ein Hotelfenster hindurch erschossen wird. Er hinterlässt ihr eine geheime Botschaft, wegen der aber dann ihre Tochter Betty gekidnappt wird. In London – genauer: beim Konzert in der Royal Albert Hall und bei einem Feuergefecht – löst der angehende Meisterregisseur den Plot im zweiten Teil des Films dann nach allen Regeln des Suspense auf. Zuletzt analysierte Philosoph und Psychotherapeut Slavoj Zizek in mehreren Aufsätzen, wie bravourös Hitchcock gerade in diesem frühen Film sein Konstrukt mit hintersinnigen Details anfüllte – kleine Allegorien, Symbole, Übertragungen und Traumata. Während des Tanzes mit dem Franzosen im Hotel etwa löst sich durch einen

Hier die deutsche DVD. Rechts der Regisseur, der Der Mann, der zu viel wusste gleich zweimal verfilmte. Also Vorsicht beim Einkauf: Denn die Schauplätze waren andere, und James Stewart und Doris Day mimten 1956 nicht in der Schweiz, sondern in Marokko.

Drehbuch-Kniff langsam und vieldeutig der Wollpullover auf, den Mrs. Lawrence gerade für den Fremden strickt – der Ehemann hat dem Tanzenden nämlich einfach die Stricknadel in der Sakkotasche fixiert. Den Plot fand der Regisseur übrigens so großartig, dass er ihn 22 Jahre später mit Doris Day und James Stewart noch einmal verfilmte. Hitchcock selbst, der hier den Deutschen Peter Lorre als wunderbaren Schuft Abbott international einführte, kam übrigens extrem gern zum Urlauben ins Engadin und besonders nach St. Moritz. Dort fielen ihm oft die besten Szenen ein. Und im Badrutt´s Palace (wo er 45 Jahre lang immer dieselbe Suite gebucht haben soll) hat er auch  geheiratet.     Alexander Hosch

Das einfache Leben

DSC_0204…war schon immer gar nicht so leicht. Als die Pariser Art-déco-Designerin Eileen Gray privat ab 1928 für den Urlaub einen schlichten neuen Stil in ihrem Ferienhaus E1027 bei Monaco erprobte, kam ihr bald der weltberühmte Architekt Le Corbusier in die Quere. Er wollte auch ein einfaches Leben, allerdings ein anderes. Kurioserweise fand er es genau auf dem Grundstück neben Eileen Gray. Heute werden auf Auktionen Millionen für ein frei schwingendes Original-Sitzmöbel aus dem einfachen Leben von Eileen Gray (oder aus dem von Le Corbusier) gezahlt.

vignette_alpenstaunen Da ist es ein Glück, dass seit Kurzem in Roquebrune-Cap Martin zwischen Monaco und Menton, also da wo an der Felsküste der Côte d´Azur die Seealpen endgültig ins Mittelmeer

Detail aus einer Unité de Camping - auch von LC
Detail aus einer Unité de Camping – auch von LC

übergehen, jeder für ein paar Euro dieses Ferienparadies der Moderne besichtigen kann. In einer gemeinsamen tollen Führung, allerdings nur auf Reservierung, entfalten Le Corbusiers Blockhütte „Cabanon“ von 1951 (gerade vor vier Wochen ins Weltkulturerbe gewählt) und Eileen Grays frischDSC_0081 restauriertes Ferienhaus von damals ihre Reize. Es sieht jetzt – mit Hängematte und Astralpanorama- endlich wieder wie ein kleiner weißer Dampfer der Moderne aus, muss indes im Winter dringend weiter saniert werden (wofür man noch einen big spender sucht, also bitte melden). Anschließend sollte man sich unbedingt an einem der benachbarten Strände seinen eigenen Platz fürs einfache Leben suchen – oder wenigstens, so wie der Autor – siehe unten, eine schöne Strandbar. Formidable!              Alexander Hosch

Maison en bord de mer E1027 (von Eileen Gray) und Le Cabanon (von Le Corbusier): bis in den Frühherbst täglich zwei geführte Besichtigungen von 2 ½ Stunden für je 12 Personen. Reservierungen: Association Cap Moderne, F-06190 Roquebrune-Cap Martin, www.capmoderne.com.Die große Geschichte dazu: in der Süddeutschen Zeitung vom 13.8. („Die Frau vom Meer“, Feuilleton).

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Noch ein verstecktes Paradies in Cap Martin. Tipp: Rund 1000 Meter von E1027.

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Ins wüste Land

LudwigBerg

April ist der übelste Monat von allen, treibt
Flieder aus der toten Erde, mischt
Erinnerung mit Lust, schreckt
Spröde Wurzel auf mit Frühlingsregen.
Der Winter hat uns warm gehalten, hüllte
Das Land in vergeßlichen Schnee, fütterte
Ein wenig Leben durch mit eingeschrumpelten Knollen.
Der Sommer kam als Überraschung, über den Starnberger See
Mit Regenschauer; wir flüchteten unter die Kolonnaden,
Die Sonne kam wieder, wir gingen weiter zum Hofgarten
Und tranken Kaffee und redeten eine Stunde.

aus T.S. Eliot, „Das öde Land“ *

fluchtbergfoto_300Eine irre Aprilstimmung wie in T.S. Eliots Krisengedicht „Das öde Land“ herrschte gestern in Berg am Starnberger See. Auf surrealer Pokémon-Jagd stolperte eine Handvoll Jungs durch den lichten Wald rings um die Votivkapelle für König Ludwig II., die gerade wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Wie verrückt schlugen die Wellen gegen das Ufer.

1922, sechsunddreißig Jahre nachdem der Bayernkönig unter ungeklärten Umständen starb und man seinen Leichnam hier im Wasser fand, erscheint Eliots Langgedicht. Einen direkten Bezug gibt es nicht. Doch erforscht der angelsächsische Autor private Krisengefühle, wie sie Ludwig gekannt haben muss und besingt das junge, dennoch bereits von Revolutionen, Umwälzungen und Krieg zermürbte Jahrhundert. Übellauniges Frühlingserwachen eines irrlichternden, verstörenden Zeitalters. 2016 umgibt den Text noch immer diese Aura der Gegenwärtigkeit. ag

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* In der Neuübertragung von Norbert Hummelt 2008 bei Suhrkamp erschienen.