Der Weg ist die Kunst

Man muss sich die Schweiz durchlöchert wie einen Emmentaler Käse vorstellen. Hauptverkehrsadern sprengen die Eidgenossen am liebsten als Tunnel durch den Fels. Doch die Kulturgeschichte des Transits beginnt hoch oben, bei den Wegen, die sich über die Berge schlängeln: Uralte Saumpfade, Napoleons Alpentrassen und Kutschenwege der Belle Époque veranschaulichen den steten Flow von Waren, Menschen und ihren Ideen. Leider sind nicht all diese historischen Passagen in ihrer Originalsubstanz erhalten. Umso erfreulicher, dass eine neue Publikation der Baukulturorganisation Schweizer Heimatschutz einige der bestehenden Strukturen erlebbar macht. Dazu fischte man 35 Wanderrouten aus einem Pool alter Transportstrecken, die seit den 1980er Jahren erforscht und kartiert wurden.

Doch wo beginnen? Entlang der bernischen Salzstraße Via Salina, auf der das für die Käseherstellung so bedeutende weiße Gold aus dem Ausland über ein mittelalterliches Wegesystem mit eingetieften Radspuren gekarrt wurde? Oder an der Alten Axenstraße mit ihren Panoramaaussichten auf den Vierwaldstättersee? Ein fulminanter Start wäre auch die Tour auf der Fährte Napoleons, der 1805 am Simplonpass die erste Kunststraße der Alpen fertigstellen ließ.

Ambition macht selbst vor Wasserwegen nicht halt. Nichts Geringeres als eine schiffbare Traversale zwischen dem Mittelmeer und der Nordsee wollte man im 17. Jahrhundert im Waadtland verwirklichen. Allerdings: Nach zehn Jahren Bauzeit kapitulierten die Visionäre angesichts 59 noch zu bezwingender Höhenmeter und 40  Schleusen, die hätten realisiert werden müssen. Die Route entlang des Ancien Canal d’Entreroches erzählt von diesem zerschellten Traum. Auch die Baumeister der 1811 begonnenen Verbindung von Bern zum Gotthard über den Sustenpass mussten ihren Ehrgeiz hier oben begraben – sie wurde nie fertiggestellt. Den Abstieg zu Fuß entlang der ursprünglich geplanten Trasse versüßen heute Ausblicke auf eine zweite atemraubende Serpentinenstraße, die erst 1946 in die Landschaft eingebettet wurde.

Sämtliche lose Routenblätter sind mit detaillierten Kartenausschnitten, Fotografien sowie Tipps zur Reiseplanung ausgestattet und in einem handlichen Schuber untergebracht. Der Weg ist das Ziel. Wer also im Sommer mal wieder in einer Schweizer Blechlawine feststeckt, hat neben Proviant und Langmut besser auch diese Publikation im Gepäck. Zumindest um sich wegzuträumen.  Alexandra González

 

„Heimatschutz unterwegs. Historische Pfade“, CHF 28. www.heimatschutz.ch, sämtliche Wegstrecken sind auf schweizmobil.ch hinterlegt.