Eis und Weiß

Klimazeugen von der Eiszeit bis zur Gegenwart. Der Autor, Polarforscher und Glaziologe Gernot Patzelt hält den Lügnern und den Leugnern und der menschengemachten Naturzerstörung jetzt die Gletscher selbst entgegen. Mit ihrer Geschichte, mit ihrer Gestalt, mit diesem nagelneuen Buch.

Dabei geht es hier erst einmal um die reine Schönheit. Denn die Bilder, mit denen Patzelt hauptsächlich arbeitet, sind faszinierende alte Aquarelle und Tuschezeichnungen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Caspar Wolf, Jean-Antoine Linck und Samuel Birmann, Thomas Ender und Ferdinand Runk rückten den großen Gletschern Europas wie der Pasterze am Großglockner, den Eiswüsten Bossons und Mer de Glace unter dem Mont Blanc sowie dem Grindelwaldgletscher zuerst mit Seilen und Steigeisen, vor Ort dann auch mit Pinseln und Tuschfedern zuleibe. Vor allem die hochattraktiven Arbeiten der beiden Letzteren, sie waren Kammermaler des österreichischen Erzherzogs Johann, geben diesem neuen Werk sein Gesicht. Der Erzherzog schickte Anfang des 19. Jahrhunderts immer wieder Abordnungen los, um eine Bestandsaufnahme seines Territoriums mit diesen wundervollen Naturerscheinungen zeichnen zu lassen. So wurden aus Zeichnern und Landschaftsmalern fast automatisch nebenbei auch Forscher, Dokumentare, Chronisten. Denn so gut wie niemand sonst wagte sich in dieser Zeit, in der die abergläubischen Menschen im ewigen Eis die Begegnung mit Mary Shelleys Frankenstein oder anderen Dämonen fürchteten, in diese Höhen.

Patzelt, emeritierter Geografie-Professor der Universität Innsbruck, konfrontiert die Wasserfarbenbilder aus der Zeit, in der Europas Gletscher ihre maximale Ausdehnung erreichten, mit aktuellen Fotografien ihrer kläglichen Reste. Er ergänzt sein Werk um zahlreiche wissenschaftliche Daten und Fakten der letzten 50.000 Jahre, um Diagramme und Statistiken. So ist ein vielfach lohnendes Monument entstanden – schön, klug und wissenschaftlich, geschmückt von vielen doppelseitigen Ansichten. Wenigstens während man dieses vor wenigen Tagen neu erschienene Buch durchblättert und ansieht, herrscht Eiszeit für dummes Gezwitscher und Gequassel.

Text: Alexander Hosch

Unsere Abbildungen zeigen österreichische Landschaften in den Ostalpen: Gletscher über dem Gasteinertal, am Großvenediger und am Großglockner. Die originalen Aquarelle und Tuschebilder von Thomas Ender und Ferdinand Runk entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Gletscher. Klimazeugen von der Eiszeit bis zur Gegenwart“, von Gernot Patzelt, Hatje Cantz, ISDN 978-3-7757-4535-2, 52 Euro. www.hatjecantz.de

Heimatarchitektur… ?

IMG_9162 (768x1024)IMG_9127 (768x1024)   … ist eigentlich ein Begriff, bei dem mein emotionales Ich sofort reflexartig Reißaus nimmt. Der Ausweg: Ich denke fest an Steven Holl. Der vignette_2_stadtstammt aus New York City und hat auf seine Baustellen in der Wachau vor allem sich selbst mitgebracht: Seine Poesie, seine Musikalität, seine Lust am Aquarellieren, seine zeitgemäße Avantgarde. Nun ist – inmitten von Trauben für Zweigelt und Grünen Veltliner – vor ein paar Jahren in Langenlois bei Krems zuerst ein fruchtiges Weingut herangereift. Und danach noch ein smaragdiges Hotel.

Von den Traditionen Niederösterreichs schnitt sich Holl nur die zwei Scheiben ab, die er wirklich haben wollte: Erstens fing er die faszinierenden Himmelsbilder über der Donautaler Reblandschaft mit riesigen Glasfenstern ein – sie dringen jetzt, gerahmt von den Leisten der Lochblechfassade, DSC_0301 (1024x681)in jede einzelne Gästesuite. Aquarelle der Natur. Zweitens nahm er die Grundrisse der berühmten Felsenkeller als Blaupause. Nach ihrem Muster kerbte Holl die Einschnitte für die Fenster und für die Fassadensprünge seiner Weinwelt aus Aluminium unweit der Alpen ein, die dadurch fast so wild zerklüftet wirkt wie der Großglockner-Sockel. Außerdem ließ der Mann, der mal ein Wohnhaus auf Long Island „Writing With Light House“ genanIMG_9036 (768x1024)nt IMG_9033 (768x1024)hat (weil die Sonne den weißen Innenwänden rund um die Uhr neue Schatten zeichnet), die Umrisse der langgezogenen, bis zu 900 Jahre alten Kellergänge in eine abstrakte Zeichensprache übersetzen und hinterleuchtete Hohlreliefs basteln. Sie adeln jede Hotelzimmertür zum individuellen Kunstwerk.

Die Amerikaner haben für solche einheimischen Elemente den Begriff „vernacular architecture“ erfunden. Auch Frank Lloyd Wright und Mies van der Rohe arbeiteten zu Zeiten und bei manchen Bauaufgaben damit. Vernacular in der modernen Architektur bedeutet: Man nimmt etwas (aber nicht zu viel) im besten Sinn Bodenständiges, Ehrliches von dem Ort auf, an dem baut, und verbindet es mit dem eigenen Stil. So biedert sich ein Architekt nicht an, respektiert aber die geliebte, kostbare Vergangenheit der Anderen. Wie die uralten Langenloiser Felsenkeller, zu deren filigranen Labyrinthen Holls silbernglänzendes Felsmassiv mit Alublechhaut Zutritt gewährt. Und in denen wohl jeder Wachauer schöne Erinnerungen findet. –  So eine Heimatarchitektur? Immer gern.       Alexander Hosch

Zwei weitere Häuser von Steven Holl findet ihr in meinem Buch „Traumhäuser am Wasser“ vorgestellt:  Das private Writing With Light House auf Long Island /USA und eine Kunstsammler-Villa in Südkorea.             https://www.callwey.de/buecher/traumhauser-am-wasser/

IMG_9123 (1024x768)

IMG_9121 (768x1024)