Brutal schön

Kommt mir bloß nicht zu nah! – Günther Domenigs Steinhaus am Ossiacher See, Bauzeit 1983-2008.

Weiterbauen in den Alpen. Was das heißen kann, lässt manchem aktuell wieder die Haare zu Berge stehen. Jodeldidumpfdideldei. Viele sind deshalb mehr als froh, dass es neben den Heerscharen von schief gewickelten Traditionalisten (und einigen guten) auch noch alpine Architekten wie Günther Domenig gab, der von sich sagte: „Ein Bauherr, der mich einmal hatte, nimmt mich nie wieder.“ Schon speziell. Und irgendwie logisch, dass die wichtigste private Baustelle sein eigenes Haus in Kärnten wurde. Das Steinhaus am Ossiacher See.

Vor genau zehn Jahren starb der große Österreicher. Kann uns seine Architektur in einer Zeit der nachhaltigen, kostengünstigen, emissionsfreien Bauwerke noch viel sagen? Schwierig. Heute geht es ja eher um die Abkehr von einem superambitiösen Stil. Und neue Häuser sollten am besten gleich aus dem 3-D-Drucker herausfallen.

Wie ein Großmeister einer Geheimloge bat Günther Domenig 2004 zum Interview in eine der Glas-Stahl-Beton-Kanzeln seines futuristischen „Steinhaus“.

Was Domenig damals in seinem Steinhaus im Interview für AD Architectural Digest zu mir sagte, war bezeichnend für ihn: Kommt mir bloß nicht mit Normalität! Sein Stil war ultraindividuell und – auf sympathische und künstlerische Weise – maßlos. Er suchte perfekte Lösungen, die deshalb auch meist ziemlich teuer waren. Genau so wie das Steinhaus am Ufer des Ossiacher Sees, das er für sich selbst auf dem elterlichen Grundstück erbaute. Immer wenn nach einem Architekturauftrag seiner großen Büros in Graz und Wien Geld übrig war, fügte er dem Wohnhaus eine neue Kanzel aus Stahl oder einen Raum aus Glas und Beton an. Von 1982 bis 2008 werkelte er immer daran weiter und setzte – wie er in dem Interview sagte – mit diesem avantgardistischen Bau seine Kindheitserinnerungen an das Gebirge des Mölltals architektonisch um. Das Steinhaus verschlang über die Jahre gewiss Millionen. Unzählige Wochenenden verbrachte Domenig hier.

Heute sind Beton und Stahl alles andere als die Baustoffe der Stunde. Und das Formeninventar des Dekonstruktivismus, dem Domenig ein Leben lang anhing, entwickelte seine Verrücktheiten vor 20 bis 40 Jahren – gedanklich kilometerweit entfernt von der Ratio unserer effektiven Zeit. Auf Domenig bezieht sich heute aber etwa gern Ben van Berkel von UN Studio, der selbst in Graz gebaut hat. Er bewundert die skulpturale Eleganz der Grazer Schule und die ideelle Komponente der Schöpfungen.

Domenigs eigene Büros waren voller Zeichnungen der Wiener Aktionisten  – vor allem von Günter Brus. Dessen oft figurative, überbordene, phantasmagorische Bilder dürften maßgeblich für den 1934 geborenen Architekten gewesen sein – so wie die expressionistischen Ideen des Vorgängers Friedrich Kiesler oder die Utopien von Zeitgenossen wie Friedrich St. Florian, Feuerstein, Haus-Rucker Co, Raimund Abraham. Um 2000 setzte Domenigs große, erfahrene Firma einige Werke der nun weltberühmten Wiener Kollegen coop Himmelblau technisch um.

Auf den ersten Blick erscheint die Kunst- und Architekturlandschaft des Steinhauses an trüben Tagen leicht wie eine Materialmusterwand im Baumarkt. Aber aus der Nähe betrachtet wird sofort ein Gesamtkunstwerk draus.

Zu Domenigs bekanntesten Werken gehören neben dem brutalistischen Steinhaus das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das Telekom-Center in Wien und die ehemalige Zentralsparkasse in Wien-Favoriten (heute: Haus Z) mit der charismatischen Knautschfassade sowie „Händen“ und „Därmen“ als Stützen oder Röhren.

Text und Fotos:  Alexander Hosch

Zu Domenigs zehntem Todestag beginnen in Österreich Mitte Juni vier Ausstellungen. unter einem gemeinsamen Titel. „Günther Domenig: Von Gebäuden und Gebilden. Dimensional“ ist ein mehrteiliges Projekt des Architektur Haus Kärnten (AHK), gemeinsam mit dem Land Kärnten, dem Museum Moderner Kunst Kärnten, der Steinhaus Günther Domenig Privatstiftung und der Heft/ Hüttenberg, kuratiert von section a. Die Hauptschau (bis 16. 10., Di-So 10-18 Uhr) ist im alten Eisenhüttenwerk Heft im steirischen Hüttenberg, das Domenig als Industriedenkmal umbaute.

www.domenigdimensional.at

Neues von der Wolkenschieberbande

Villa S. mit lokaltypischem Salettl, Millstätter See in Kärnten, 2006.          Foto:   Alexander Hosch

„Wolke“ heißen alle ihre Entwürfe seit dem Gründungsjahr 1968. Damals und ungefähr bis 1995 aber nummerierte das Architekturbüro coop Himmelb(l)au erst einmal nur Kunstaktionen, Skulpturen, Cafés, Bars oder kleine Pavillons durch. Mittlerweile reicht der Wolkengürtel rund um die Welt – von Aalborg in Dänemark und Lyon in Frankreich bis Dalian oder Shenzhen in China, Busan in Südkorea und Los Angeles in den USA. Und er umfasst Großprojekte: Museen, Opern, die BMW Welt, Banken, Hochschulen.

Diese aktuellen Ikonen kommen alle vor in der neuen Filmdokumentation von Mathias Frick über die Architekten. Dennoch geht es vor allem zurück: nach Österreich, wo die Geschichte von coop Himmelb(l)au anfing und wo Wolf D. Prix, der unumschränkte Matador des Büros, beeinflusst unter anderem von Keith Richards´ Gitarrenriffs, seit 50 Jahren gegen Bürokratie und Architekturfolklore kämpft. Gegen den Wiener Barock kämpfte er anfangs auch. Doch wenn man genau hinschaut: Ist der – in seiner zeitgenössischer Gestalt – nicht längst ein genuiner Teil der himmelblauen Architektur?

Details der Villa S. (o. und r.). Unten Wolf D. Prix im Salettl. Fotos: Alexander Hosch

 

„Architektur muss brennen“ zitiert im Titel ein frühes, radikales Prix-Gedicht. Der Film hat im Zentrum heitere und melancholische Interviewausschnitte mit Prix. Im Büro in der Spengergasse im 5. Wiener Bezirk Margareten. Im Haus Soravia am Millstätter See, das in Kärnten liegt, aber fast wie eine Tropenvilla aussieht. Oder im verlassenen, teilrestaurierten Elternhaus an der slowakischen Grenze, wo Prix in Hainburg einst als Sohn eines Architekten aufgewachsen ist und 2011 die Martin-Luther-Kirche gebaut hat. Der befreundete Bildhauer Erwin Wurm kommt in der Dokumentation zu Wort, ein Wissenschaftler, Architekturjournalisten. Einmal sieht man den jungen Prix für ein frühes Kunsthappening in einer durchsichtigen Wolke durch Wien laufen. Das einzige Schweizer Vorhaben, das für die Expo 2002 auf- und später leider wieder abgebaute Arteplage-Projekt auf dem Bieler See, erhält prominent Raum. Eine andere Szene zeigt den legendären Flammenflügel von 1980 auf dem Steirischen Herbst in Graz. Dabei entsteht in der Summe der Eindruck, dass all die kleinen Projekte in der oder rund um die Alpenrepublik – wie das Alban-Berg-Denkmal, das 2016 vor der Wiener Staatsoper aufgestellt wurde – dem Schöpfer Prix persönlich womöglich wichtiger sind als all die Weltarchitekturen der letzten Jahre.

Martin-Luther-Kirche in Hainburg, 2011.              Foto:  Sabine Berthold

Prix erzählt: Über das Zeichnen der Projekte aus dem Unbewussten heraus. Über die wiederkehrenden Motive – Kegel, Türme, Rampen, Treppen ins Nichts. Er verrät auch, wo sie herkommen – etwa aus der Inspiration einer Förderanlage in Hainburg an der Donau. Der zweite coop-Gründer, Helmut Swiczinski, ist in dem Film im Geiste immer dabei. Obwohl er längst ausgestiegen ist, weil er – so Prix´ Erklärung – das Wachsen der Projekte und des Büros nicht schätzte. Man merkt, wie leid Prix das immer noch tut, und wie wichtig ihm der Zauber des Anfangs ist. Aber es ist auch gut, dass coop Himmelb(l)au die institutionellen Aufträge für das Musée des Confluences in Lyon und die Europäische Zentralbank in Frankfurt durchgezogen haben, trotz gewisser Einschränkungen durch die Bauherren oder die technische Überwachung. Warum sollte man den so erfolgreichen, aber oft auch so langweiligen Problemlösern in der Architektur auch noch die letzten zwei Prozent der Projekte in der Baukunst überlassen? Die Nähe des Büros coop Himmelb(l)au zur Kunst war lange Zeit eine Bürde, ehe sie sich doch noch als Glücksfall für die Architekten erwies (und für die Architektur). Bis 2000 bauten sie so gut wie nichts. Danach ging der Erfolg der Vollstrecker von Phantasie auf der Baustelle durch die Wolken.

Text:  Alexander Hosch

„Architektur muss brennen. Wolf D. Prix und coop Himmelb(l)au“, Film von Mathias Frick, navigator film/hook film, DVD, 56 Minuten, 2019, www.navigatorfilm.com

www.coop-himmelblau.at

Die Villa S. wird auf 8 Seiten mit Text, Bildern, Plänen und Schnitten auch in meinem Bildband vorgestellt, der die weltweit besten Villen der beginnenden 2000-er Jahre zeigt: Traumhäuser am Wasser, Alexander Hosch, Callwey Verlag, 2012, ISDN 9783766719775, www.callwey.de.

Das Wolkenschiff hinterm Salzkammergut

Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen. Und schöne ältere Bauten, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.   #9

Objekt  Wunderkammer des Brotes – Paneum / Ort  Kornspitzstraße 1, A-4481 Asten /  Koordinaten  48°12’57’’ N, 14°24’35’’ O / Bauzeit  2016/17 / Bau-Grund  Wunder à la Oberösterreich: Es ist ein silberner Laib erschienen!  / Aktuelle Nutzung  Museum der Brotgeschichte; Besichtigungen (demnächst auch für Gruppen); Seminare / Öffnungszeiten  Montag bis Samstag 10-18 Uhr / Schönster Augenblick  Wenn hinter dem Silberschiff orangefarben die Sonne untergeht…

Warum man immer dran vorbeifährt…   In diesem Fall, weil es ganz neu ist: Plötzlich ploppt direkt neben der Autobahn ein Raumschiff auf. Und – mal ehrlich – wer fährt schon nochmal zurück, wenn die nächste Ausfahrt erst ein paar Kilometer weiter winkt?

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss!  Wegen des Dramas. Wunderkammer des Brotes – das hört sich schon ganz anders an als zum Beispiel: Brotmuseum. Und es sieht auch anders aus. Wie ein silbern gefärbter Brotteig. Wie ein Sahnehäubchen. Oder …wie die Arche Noah? So nennt der Architekt, Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au seinen jüngsten Bau. Na gut, lassen wir so durchgehen. Aber noch besser passt: Wolkenschiff. Seit fast 50 Jahren spielt das Wiener Architekturbüro mit Bildern von Wolken. Zuerst nur als Kunstutopie. Dann seit den 1990ern immer öfter als Bau-Form. Und seit ein paar Jahren auch auf der Website. So kündete vor vier Wochen der sogenannte Cloudletter #33 von der Vollendung des Paneum, direkt neben der Autobahn in Asten bei Linz. In Auftrag gegeben hat es Peter Augendopler, Erfinder des Kornspitz und Chef von Backaldrin („The Kornspitz Company“). Er hat Filialen in 50 Ländern der Erde. Wir treffen ihn vor seinem neuen Bauwerk. Weil es ihn sogar am Wochenende wie auf Schienen zu den 1200 Objekten aus 9000 Jahren Brotgeschichte treibt, die er gesammelt hat. Er zeigt sie nun – ganz im Stil eines barocken Kuriositätenkabinetts – seinen ersten Besuchern, bald werden es mehr sein. Uns zeigt er den kleinen Film über die Erfindung dieses Baus, die Stahlspiraltreppe, die unters Dach führt (und an Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York denken lässt), eine ägyptische Korn-Mumie (die als getreidige Grabbeigabe diente), mittelalterliche Schandmasken für ruchlose Geiz-Bäcker… Und die einzigartige Freeform-Holzkonstruktion, die auf einer Box sitzt und ohne Stützen und Balken die spektakuläre Metallkuppel trägt. Draußen an der Fassade erklärt er uns noch, wie es gelingt, dass die 3000 Edelstahlschindeln scheinbar den Himmel erzittern lassen. „Ich wollte eine Architektur, die mich fordert und die noch waghalsiger ist, als ich sie mir vorstellen konnte“. Die ist ihm gelungen.

Wie man hinkommt    Von der A 1 aus Salzburg / Linz oder Wien die Ausfahrt Asten nehmen, auf der Landstraße Richtung St. Florian etwa einen Kilometer nach Süden fahren, links abbiegen und der Beschilderung zur Firma Backaldrin folgen. Dort steht das Paneum neben dem Headquarter.

(copyright Idee, Text und Fotos: Sabine Berthold & Alexander Hosch)