Der neue Skiglamour ist grün

Luxus im Skisport, das hieß mal: Teure Sportkleidung, schicke Hotels mit gigantischen Wellnesslandschaften – und vielleicht noch ein superber Helikopterflug in unberührte Tiefschneereviere. Vorbei.

Längst ist die Konkurrenz zwischen den Skidestinationen der Zukunft eine andere. Den feinen Unterschied bei schwindenden Schneemassen und breitflächig dokumentiertem CO²-Ausstoß macht heute die grüne Note. Aber ohne billiges Greenwashing bitte! Weiße Weihnachten können künftig eh nur noch die wenigsten Orte ihren Gästen mit Garantie verkaufen. Wer schafft es also, in kürzester Zeit nachhaltige Faktoren in sein Skigebiet zu integrieren? Wie wollen alpine Dörfer künftig die anspruchsvolle Klientel aus Europas Großstädten dazu animieren, ungeheure Summen für  ein Skiurlaubsvergnügen auszugeben, das mehr und mehr umweltschädlichen Kunstschnee benötigt, das immer noch teurer wird und gleichzeitig immer weniger als Anlass für begeisterte Gespräche unter Freuden taugt?

Der Ort Bad Hofgastein hat diesen Wettbewerb jetzt beispielsweise mit 15 großen sogenannten Solarbäumen voller PV-Module aufgenommen, die seit Sommer 2023 neben der Talstation der Schlossalmbahn herangewachsen sind. Sie sollen dafür sorgen, dass der Stromverbrauch dieser Gondelverbindung schon bald komplett aus erneuerbaren Quellen stammt. Zudem können hier E-Fahrzeuge aufgetankt werden, während man über die Pisten carvt – sei es das eigene Auto oder ein Leihwagen aus der E-Car-Kollektion der Gasteiner Bergbahnen. Solche News werden im Wettstreit zwischen den alpinen Skiorten vielleicht schon bald den Ausschlag geben.

Neuen Luxus herkömmlicher Machart gibt es auch noch, nebenan in der Kurlandschaft von Bad Gastein. In einem Ort, wo täglich reichlich heißes Wasser als erneuerbare Energie direkt aus dem Felsen kommt, macht das immerhin auch künftig Sinn. Deshalb hat zu Beginn des Jahres 2024 das „Badeschloss“ aufgemacht – ein 13 Stockwerke hoher Hotelturm, der seit kurzem als „künstlicher Felsen“ aus vorgefertigten Betonteilen dem Häusermeer entragt. Er vermittelt zwischen der alten Zuckerbächerpracht der Barockfassaden und dem hier im Salzburger Land durchaus auch vorhandenen Architekturkonstruktivismus der 1970er Jahre. Gelungen und mutig. Aber nix für Spießeridyllen.

Den vollen Charme kann das neue Hotel Badeschloss jedoch erst entfalten, wenn auch der sogenannte vertical link Wirklichkeit ist. So heißt ein für 2025 geplantes, aber wohl erst später zu realisierendes Projekt für ein kilometerlanges unterirdisches Förderband, eventuell mit Rolltreppen, das den Ortskern beim berühmten Wasserfall mit dem sehr viel höher gelegenen Bahnhof und der Stubnerkogelseilbahn verbinden wird. Eine grüne und soziale Idee, für die aber noch viel Bautätigkeit nötig ist. Danach kann jede:r die hier extrem steilen Strecken von den Hotels zu den Zügen und Liften samt Kindern und Skiausrüstung bequem als Fußgänger bewältigen. Statt, wie bisher, per Auto.

Natürlich gibt es auch im Skisport jede Menge Gemüter, die auf Neuerungen nicht die geringste Lust haben und lieber Teil des Problems bleiben, als zur Lösung beizutragen. So wie heute wird der alpine Skisport in Höhenlagen unter 2000 Metern aber schon aus physikalischen Gründen spätestens 2035 nicht mehr funktionieren. Garantiert nicht. Deshalb versuchen jetzt viele Alpendörfer alles, um ihren Teil des Kuchens zu behalten. Flaine in den französischen Alpen wollte bis vor kurzem einen sogenannten Tal-Lift  bauen, um alle Verbrennerautos von seinen Hochstraßen zu verbannen. Leider gescheitert: zu teuer. Österreich intensiviert gerade bundesweit den Schienenverkehr, um ab 2026 Alpenorte mit der doppelten Frequenz an Zugverbindungen über Salzburg oder Klagenfurt zu erreichen. Vielversprechend.

Nicht alle Dörfer können gewinnen. Die Mehrzahl der Skikunden in den Ostalpen werden neben Einheimischen – wohl die Deutschen und die Skandinavier bleiben. Und Bürger dieser Länder waren in den letzten Jahrzehnten in puncto Nachhaltigkeit die forderndsten Europäer. (Von Malmö nach Salzburg wurde vor zwei Jahren sogar extra eine neue Nachtzuglinie für Wintersportler kreiert.) Viele von ihnen werden – wenn sie die Wahl haben – auch in künftigen Alpenurlauben regionale Küche und öffentliche Anreise wählen. Dazu weiße Skihänge, die auf natürliche Weise beschneit werden – und aus genau diesem Grund auch ziemlich grün sind.

Text und Fotos: Alexander Hosch

Die perfekte Welle von Nizza

#14                   Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es tolle neue und alte Architekturen, die jeder zu kennen glaubt. Obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht. 

Objekt Allianz Riviera Stadion / Ort Boulevard des Jardiniers, F-06200  Nizza / Koordinaten N 43° 42´ 18,3´´, O 7° 11´ 33,5´´ / Bauzeit 2011-2013 / Bau-Grund Fußball-EM 2016 / Aktuelle Nutzung Fußballstadion des OGC Nice, Rugbystadion des RC Toulon & Sportmuseum Musée nationale du sport / Öffnungszeiten …siehe Museumswebsite – sonst nur zu Spielen, Konzerten und den 75-minütigen Führungen, www.ogcnice.com; www.museedusport.fr / Schönster Augenblick  Ständig (nach dem Spiel ist vor dem Spiel)

Warum man immer dran vorbeifährt:  Die Sonne scheint. Man hat die Skischuhe an. Und der Ski-Bus, der einen zu den Liften der sonnenüberfluteten Frühlingshänge von Isola 2000 in den Südalpen bringen soll, will am surreal vorbeiwischenden Stadion einfach nicht anhalten. Obwohl der Fahrer schon seit einer Minute von allen Seiten gerüttelt und geschüttelt wird …

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss:  Um zu verstehen, wie so ein klimaneutrales Stadion für 35.000 Menschen funktioniert. Die Arena von Nizza liegt in einem ausgewiesenen Ökogebiet, dem sogenannten Eco Vallée. Man kann es sehr einfach auch ohne Auto erreichen. Die 4000 Solarplatten auf dem Dach erzeugen mehr sauberen Strom als das Stadion von Architekt Jean-Michel Wilmotte selbst verbraucht. Der Hybridbau aus Stahl, Holz und Beton schafft mit diversen Umweltgimmicks sogar Plusenergiestandard. Und im integrierten nationalen Sportmuseum, das ein bisschen wie „unters Stadion geschoben“ aussieht, gibt es sogar eigene Programme für Babys und für Kleinkinder. Momentan und noch den ganzen Sommer über bereitet die zusammen mit dem Louvre erarbeitete Schau „Victoires“ die Besucher schon auf die Olympiade 2024 in Paris vor.

Die transluzenten ETFE-Module der Fassade erinnern übrigens ein wenig an die Münchner Allianz Arena von Herzog & de Meuron, die den selben Sponsor hat. In Nizza sind die einzelnen Kunststoffpaneele aber nicht wie Rauten geformt. Und alle zusammen sehen dort wie eine riesige Welle aus Schaum und Wasser aus. Naja, dieses Stadion wogt ja auch quasi direkt neben dem Mittelmeer.

Wie man hinkommt: Die Arena liegt supernah am Flughafen Nizza. Aus der Stadt fahren Busse und Trams hin, aus den nahen Strandorten Züge.

copyright für Idee, Text und Fotos: Alexander Hosch & Sabine Berthold

 

Auf der Streif nach dem guten Essen

Das neue Restaurant Berggericht
Tiroler Expressionismus als Tafel-Bild

In Kitzbühel gibt es ein nagelneues Restaurant im ersten Stock eines Stadthauses. Keiner geht dort hin, nur um einen kleinen Appetit zu stillen. Das Berggericht ist ein Lokal, das spürbar etwas vor hat. Edel, achtsam und kultiviert. Es verzichtet sogar auf einen Gastgarten, so dass die Gäste sich an 36 Sitzplätzen voll und ganz auf ihre Speisen, die Weine aus eigenen Gütern des Besitzers in Franken und Stellenbosch sowie auf ihre Begleiter:innen konzentrieren. Das freundliche Ambiente mit den gepolsterten Bänken fördert wie automatisch das gute Tischgespräch. Niemand will aus diesem Laden freiwillig rasch wieder aufbrechen.

Konzept ist, dass es stets sieben Gänge gibt. S-i-e-b-e-n! Keiner davon ist, was er im ersten Moment zu sein scheint. Spannend. Die Überraschung ist also Dauergast. Ein Gulasch kann hier wie ein Gebäckstück mit Schokoladenguss aussehen – oder wie ein Mini-Burger. Vor dem regulären Menü gibt es immer ein paar Amuse-gueules, danach einige Desserts. Alles – auch die Hauptspeise – ist sehr fein tariert, so dass man sich nie voll fühlt.

Streifabfahrt vor dem Kaisergebirge

Die Eröffnung wurde wegen Corona ein paar Mal verschoben. Im November 2021 war es aber so weit. Wir kamen etwa vier Wochen danach. Trotz des notwendigen Blitzstarts der österreichische Gastronomie nach dem Dezember-Lockdown (zwei Tage zuvor) saßen Motivation und Leidenschaft in jedem einzelnen Gericht, egal ob Aal, Hummer oder Spinatravioli. Grassierender Personalmangel? Nicht hier! Das kleine Team arbeitete mit extremer Disziplin und Passion. Manche Hors d´oeuvres, Hauptgänge, Petits fours sahen fast so eindrucksvoll aus wie Mikroausdrücke in der Psychologie – ein virtuoses Spiel aus Analogie, Minimalismus und Konsistenz, Qualität und Ästhetik. Geschmackliche Höhepunkte waren ein XO Alm OX (Dry aged Rinderfilet mit Pfeffersoße, Speckbohnen und Pommes) und – von der Pâtissière – ein Haselnuss-Mandel-Milch-Gemisch. Hans Hanner war in Mayerling bei Wien ein 4-Hauben- plus 2-Sterne-Koch, ehe er ins Berggericht wechselte. Er möchte bald genau da hin, wo er vor der rauen Coronazeit war: zu den Sternen!

Das Berghaus Tyrol – ein Bau von Alfons Walde in maßvoller Moderne – war mal ein Ferienhaus und ist heute ein Pistenlokal.

Am nächsten Tag in Kitzbühel, auf der Piste, ist dann ein einfaches, bodenständiges Backhendl die ideale Ergänzung. Am besten im Berghaus Tyrol. Dessen Architektur – mit Holzschindelfassaden, Pultdach, schlichter Gliederung und Traumaussicht – wurde einst als Feriendomizil Haus Lopez gestaltet, von den feinen Händen des Kitzbüheler Malers und Architekten Alfons Walde (1891-1958). Von so was träumen übrigens all die Menschen wirklich, die immer von sich behaupten, sie würden gern in einem Tiny house leben: ein gemütliches Haus in der Natur ohne Schnickschnack, aber mit viel Aussicht und genügend Platz. Das Lokal mit Panoramaterrasse liegt nur knapp überhalb des Hahnenkamms. Die beiden Stationen für dessen Bergbahn hat Walde übrigens auch gebaut, schon 1927. Durch sie gleiten auch dieses Jahr wieder alle Skistars der Welt zum Starthäusl der beiden Streifabfahrten.

Text und Fotos:   Alexander Hosch

Mehr Infos zu den Kitzbüheler Häusern von Alfons Walde, gibt es hier: Olivia Hromatka: Der Architekt Alfons Walde im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, 2016, Klein Publishing GmbH, 38 Euro, ISBN 978-3-903015-06-7

Aktuell:  Unsere Reisegeschichte über Kitzbühel sowie den Maler und Architekten Alfons Walde, der mehrere Häuser auf dem Hahnenkamm erbaut hat, ist in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 16. Januar 2022 erschienen.

Aktuell 2:  Die FIS-Skirennen auf der Streif (Abfahrten) und am Ganslernhang (Slalom) finden von 21.- 23. Januar 2022, statt.

https://www.berggericht.at/de

https://hahnenkamm.com/news/

Libeskinds Shopping-Zacken in Bern



#13     Und schon wieder dran vorbei gefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es alte und neue Architekturen, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer sich je die Zeit nahm, dort mal stehen zu bleiben. Wir haben sie besucht.

Objekt  Einkaufs- und Erlebniszentrum Westside / Adresse  Riedbachstraße 100, CH-3027 Bern-Brünnen / Koordinaten  N 46°56.708’, O 007°22.425’ / Bauzeit  2006-2008 / Bau-Grund   Die Schweizer wollen mehr Spaß! / Aktuelle Nutzung  65 Läden, 14 Restaurants, 11 Kinos, 1 Hotel, 1 Erlebnisbad mit Riesenrutschen und Spa / Öffnungszeiten  Einkaufcenter www.westside.ch;  Erlebnisbad www.bernaqua.ch / Schönster Augenblick  Wenn die rote Außenrutsche wie eine Riesenkrake zwischen den glänzenden Silberzacken hindurchmäandert, kurz bevor man mit dem Auto in den Tunnel abtaucht.

Warum man immer dran vorbeifährt:  Weil doch die Ski auf dem Autodach schnellstmöglich ins Berner Oberland wollen und man den Bernern außerdem vor Weihnachten gar nichts wegkaufen will. Schluck! Hoffentlich sehen die Kinder im Vorbeifahren die Rutsche nicht…

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss:  Kurz nach der Jahrtausendwende hieß es plötzlich: Der Architekt Daniel Libeskind baut jetzt ein Kaufhaus! Unmöglich? Bald sah man auf dem Weg in den Süden das Unwahrscheinliche – und, Überraschung, die silberzackige Erweckungsarchitektur passt nicht nur zu jüdischen Museen, sondern auch zum Konzept einer Autobahn-Mall. Hingewürfelt wie ein Weltraumbahnhof für Sternenkrieger legt das polygonale Vergnügungs-Agglomerat der Migros-Kette seine Fangnetze aus. Nun fliegen dort aus 17 Metern Höhe Magic Eye, Black Hole und Emotion Ride in die Tiefe, die höchsten Rutschen der Schweiz. Es gibt ein Bad mit 18 Innen- und Außenbecken samt Silbertreppen sowie Wildwassercanyon. Und Papa kann in die Sauna gehen, während die anderen rutschen oder shoppen. Nebenan lässt sich unter Kinofilmen, Geschäften, Fresstempeln wählen. Rechts, links, oben, unten – gleich neben dem Weihnachtsbaum! Die schicken roten Corona-Hocker im Bild oben gibt es hier übrigens schon seit
Jahren. Augen machen kann auch, wer den dekonstruktivistischen Fahrrad-Parkplatz sieht. Dessen schräge Pfeiler halten Daniel Libeskinds Architektur-Versprechen: Niemals langweilig!

Wie man hinkommt: Das Westside liegt an der Autobahn A1 zwischen Bern und Murten-Neuchâtel. Nehmen Sie die Ausfahrt Nr. 32 Bern-Brünnen.

copyright Idee, Text und Bilder: Sabine Berthold & Alexander Hosch

 

Sportgastein

 

Immer wenn das Frühjahr kommt,  lockt mich Sportgastein. Dann ist es warm, die Sonne scheint, der Schnee passt da oben, auf fast 3000 m, auch. Auf dem Kreuzkogel gibt es neben dem Blick aufs Tauerngebirge dann noch eine wunderbare Erinnerung an die Zukunft von Gestern: Die Gipfelkugel aus Metall des Salzburger Architekten Gerhard Garstenauer aus dem Jahr 1972. Sie ist eines der letzten  Überbleibsel einer visionären Zeit im Gasteinertal.

Ostern würde ich am liebsten gleich nochmal vorbei schauen!

Text und Fotos: Sabine Berthold

Mehr Infos über die Kugel hier: Alexander Hosch, Winzig Alpin, Innovative Architektur im Mini-Format, 2018, DVA Randomhouse

https://www.randomhouse.de/Buch/Winzig-alpin/Alexander-Hosch/DVA-Bildband/e533604.rhd

 

Raumwunderland

In den letzten Monaten haben mein Blog-Kollege Alexander und ich unsere Köpfe ungewöhnlich selten zusammengesteckt. Dies lag ein wenig daran, dass er sich in ein weiteres seiner Buchprojekte vergraben hatte. Nun ist „Winzig alpin“ endlich erschienen: Alexanders handliches Kompedium der hoch oben gelegenen Tiny Houses, Almhütten, Baum- und Bushäusschen, Refugien, Konzertboxen etc. im Mini-Format.

Von meinem Kompagnon darf man hochinformative, gründlich recherchierte Texte mit einem gewissen Twist erwarten wie auch architektonische Entdeckungen. Wer kennt schon Raniero Campigottos Starlight Room in den Dolomiten, ein nur elf Quadratmeter messendes gläsernes Hotelzimmer unter den Sternen, das sich um seine eigene Achse dreht? Und wer ist zu Marcel Breuers Skifahrer-Kapelle in Flaine, Haute Savoie gepilgert, seit sie 2014 saniert wurde? Sabine Berthold – Dritte in unserer Alpine-Kultur-Combo – lässt sie mit ihren tollen Fotografien naherücken.

Natürlich haben es mir vor allem die Kunst-Stationen in diesem Buch angetan. Allen voran James Turrells Skyspace am Engadiner Piz Uter, wo täglich in einem subtilen Lichtspektakel die Dämmerung transzendiert wird. Gerne würde ich auch einmal in das verrückt-luftige, durch die Schweiz vagabundierende Null Stern Hotel der Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin einchecken. Es besteht aus kaum mehr als einer einzigen Wand, einem Doppelbett, Nachttischlein, Lampe und einem alten Röhrenfernseher, der Witze aus der Region ausstrahlt und dem Housekeeping zur Kommunikation dient.

Wir allen wissen, zu welchem Rummelplatz die Alpen in den letzten Dekaden verkommen sind. So ist das womöglich die schönste Botschaft dieser Publikation: Es gibt sie noch, die widerspenstigen Bauherren, die diesem Wahnsinn mit nachhaltig konzipierten, fantasievollen Raumwundern entgegensteuern.

Alexandra González

Alexander Hosch, „Winzig alpin. Innovative Architektur im Mini-Format“, DVA, 224 Seiten mit 230 Farbabbildungen, Hardcover, 17,0 x 17,0 cm, € 30,00 [D] / € 30,90 [A] / CHF 41,50, ISBN 978-3-421-04093-0

Bildnachweis: bureau A, Hotel Castell, Alexander Hosch, Atelier für Sonderaufgaben

 

Alpenwildschön

Isel, Soca, Ammer, Lech, Drôme – die haben was gemeinsam. Sie sind unter den letzten wilden Flüsse in den Alpen, mäandern streckenweise noch natürlich, unbegradigt, ohne Beton. Sie entsprechen dem Klischee, das wir uns von einer Fluss-Architektur der Natur erträumen, aber zu selten vorfinden, da sich immerzu alles nach der Wasserwirtschaft, der Energiewirtschaft, der Landwirtschaft oder anderen Erwerbswirtschaften richten muss. Die neue Sonderausstellung „gerade wild. Alpenflüsse“ im Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins in München – übrigens direkt an dem in den letzten Jahren quasi wieder „ausgewilderten“ Fluss Isar gelegen – erklärt mit einem Papierrollendesign und ein paar Zahlen und Fotos Erschreckendes: Nämlich, dass Europas Flüsse lediglich im ein(!)stelligen Prozentbereich ökologisch gesund sind. Ist das Fluss-Kultur?

 

Da denken wir gleich voller Hoffnung an den Tagliamento in Nordostitalien, mit reichlich Auenland, den letzten Wildfluss seiner Art in  Mitteleuropa. Innerhalb eines Tages kann er anschwellen von 30 Meter Breite auf 1000 – das ist 1 Kilometer… Auch erschreckend, ja. Andererseits sind seine Biodiversität und Dynamik enorm. Aber die anderen: Wie richten wir das wieder? Alle Alpenflüsse, ausnahmslos, sind bedroht – durch Pumpenspeicherkraftwerke etc.  Wann kümmern wir uns darum?      Text und Fotos: Alexander Hosch

Bis 17. März 2019

Big in Japan, winzig in Krumbach

Irritationen sind die Würze des Lebens. Es war eine der besten jüngeren Ideen der alpinen Architektur, den Bregenzerwald mit sieben Buswartehäuschen aus der Hand internationaler Architekten zu bestreuen. Architekturzentrum Wien und Vorarlberger Architektur-Institut taten sich dafür mit dem neugegründeten Verein Kultur Krumbach und lokalen Handwerksbetrieben zusammen. Beauftragt wurden unter anderem: der Chilene Smiljan Radic, Pritzkerpreisträger Wang Shu aus China und die Spanier von Ensamble Studio.

Die gelben Landbusse halten nun seit 2014 im Tausend-Seelen-Dorf Krumbach und seiner Umgebung bei extrovertierten kleinen Paradiespavillons, die vor dem Wetter schützen und die Gedanken entführen sollen. Zwischen Schule, Tennisplatz, Gasthaus und Jägerheim. Auf Hügelspitzen, in Talsenken und neben Tannenwäldchen.

Für die irritierendste Irritation kann man sich bei Sou Fujimoto aus Japan bedanken. In Vorarlberg kommt er mit einer Kleinigkeit groß raus. Man übersieht sein Mikado aus der Ferne fast: Der Architekt legte in Krumbach statt einer Hütte einen weißen Stangenwald an, der abstrakt an eine Gruppe

Bäume erinnert. Das ist Hoch-Kultur: Wartende können die Metall-Äste über Holzstufen erklimmen. Bei leichtem Regen beschirmen einen die Trittstufen (ein bisschen). Eine heitere Etüde, die sehr gute Laune macht. Moderne Architektur kommt erst bei den Menschen an, wenn sie ihren Alltag durchdringt, philosophiert Jürgen Habermas. Hier ist das ganz wunderbar gelungen.    Alexander Hosch                                                           Fotos: Sabine Berthold

Saas-Fee

Saas-Fee – das ist der Name einer Legende zwischen Walliser Gletschern und Zauberbergen. Der einmalig romantische Wintersport-Ort lockt hoch über der Vispa-Schlucht seit Jahrzehnten mit spitztürmigen Kirchen, malerischen kleinen Maiensässen im Dorfkern und einem unüberbietbaren Panorama samt 13 Viertausendern als winterweiße Krone.

Seit Kurzem punktet Saas-Fee aber auch mit neuen Schätzen. Der Wohntraum schlechthin ist seit 2014 – ausgerechnet eine Jugendherberge. Mit 50,5 gegen 49,5 Prozent nur denkbar knapp entschied sich die Saaser Bürgergemeinde überhaupt für ein eigenes Youth Hostel oben am Talschluss, vorher gab es keins. Doch dann durften die Planer durchstarten. Sie formten im Auftrag der Gemeinde und der Schweizerischen Stiftung für Sozialtourismus in Zürich, die alle Schweizer Jugendherbergen trägt, einen grauen Holzbau mit vielen superben Details. Durch eine Sondergenehmigung des Kantons durfte er als erste fünfgeschossige Schweizer Wohnarchitektur überhaupt aus Holz entstehen. Die galten bislang als brandgefährlich – und waren deshalb verboten. Durch Vorfertigung der äußeren und inneren Wandelemente konnten die winterbedingt knappen Bauzeiten auf 1800 Meter gehalten werden. Die Architektur stammt vom Büro Steinmann & Schmid, die Tapeten und anderes von den Basler Textildesignern Matrix. Spektakulär ist, wie das alte Hallenbad, ebenfalls von Steinmann & Schmid überarbeitet, zu der beeindruckenden anthrazitfarbenen Spalandschaft Aqua Allalin erweitert wurde. Heißer Stein, Sprüheisdusche, Gletscherbalkon. Zwei verglaste Saunen mit Panoramafenstern zu den Steinböcken am Felskliff gegenüber. So bekam Saas Fee die einzige Spa-Jugendherberge der Welt, das grandiose wellnessHostel 4000, das auch noch besonders nachhaltig ist (mit Kollektoren aufgeheiztes Wasser, Erdregister in einem Felsspeicher). Auf den Übernachtungspreis werden einfach ein paar Franken draufgeschlagen, dann dürfen die Hostelgäste so oft sie wollen ins Spa-Paradies. Natürlich nützen angesichts der aktuellen Schneemassen vor allem viele Skifahrer das smarte Angebot.

Die zweite schlaue Geste an den Zeitgeschmack ist, dass da oben kein einziges Auto mehr mit Verbrennungsmotor fährt. Ausschließlich e-Mobile steuern als Hotelshuttles, Taxis, Lieferwagen oder Paketdienst die Hotels und Chalets des berühmten Gletscherdorfes an. E-Busse bringen die Skitouristen zu den verschiedenen Startpunkten für das Pistenvergnügen in Saas-Balen, Saas-Grund, Saas-Almagell und Saas-Fee (es geht bis auf 3.600 Meter).                                           Text: Alexander Hosch

Anreise nach Saas-Fee   Zug über Zürich bis Visp (Swiss Travel Pass, ab 205 € für 3 Tage), weiter mit dem Postbus (umsonst mit STP oder Saaser Bürgerpass). Skipass 1 Tag p. P. Erwachsene 73 CHF,  Kinder bis 15 Jahre: 35 CHF, Jugendliche von 16-19: 61 CHF. Nacht im wellnessHostel 4000: Doppelzimmer ohne/mit Wellness – 123/149 CHF; Bett im 6er-Zimmer 41/54 CHF; www.saas-fee.ch/de/hotel/wellnesshostel4000/ oder https://www.youthhostel.ch/de/hos tels/wellnesshostel4000/

Einen aktuellen Beitrag über das WellnessHostel 4000 in Saas-Fee gibt es auch in meinem Buch „Architekturführer Schweiz. Die besten Bauwerke des 21. Jahrhunderts“, Callwey Verlag, 36 Euro, S. 169. https://www.callwey.de/buecher/architekturfuehrer-schweiz/

 

Ur-Hölle und Berghotel

150 Jahre Wege und Schutzhütten. Was die Menschen in den Ostalpen gebaut haben, versammelt jetzt ein neues zweibändiges Werk, herausgegeben vom Deutschen Alpenverein, dem Österreichischen Alpenverein und dem Alpenverein Südtirol. Man erfährt, dass in diesen eineinhalb Jahrhunderten über 500 Hütten entstanden und 30.000 Kilometer Wege gebaut und gepflegt wurden. Die zwei Bücher sind das Ergebnis eines gemeinsamen Forschungsprojekts zur Kulturgeschichte und Architektur, welches die Alpenvereine gemeinsam vor drei Jahren begannen. Band 1 enthält Aufsätze und Fotoserien von Spezialisten zur Kulturhistorie, zu Bau und Erhalt, zum Denkmalcharakter und zu neuen ökologischen Architekturformen, zur Sozialgeschichte zwischen Wirt und Gästen, aber auch zu Politik und Hütten-Logistik.

Klar wird zum Beispiel, dass die Hütten über die Jahre immer größer werden mussten. Die Buch-Macher, darunter die Archivare der Alpenvereine, zeigen mit Fotos, Modellen, Beschreibungen und Zeichnungen auch, dass nicht jeder Satteldach-Traum, der auf dem Foto klein und herzig aussieht, tatsächlich ein Idyll ist, das sich auch in die Landschaft einfügt. Man kann nachlesen, wie schwierig es in den politischen Wirren nach dem 2. Weltkrieg gewesen sein muss, die geldfressenden Hütten entlegener Sektionen des Alpenvereins (“Dresdner Hütte”, “Magdeburger Hütte”) in der veränderten Welt bewohnbar zu halten. Oder man lernt, wie sich weit entfernt lebende Städter in den Bergen verwirklichten und mit Tatkraft am Wege- und Hüttenbau beteiligten,. Der nämlich blieb stets Aufgabe der einzelnen Sektion. Immer gab es dabei Diskussionen unter den Mitgliedern und Funktionären darüber, was angemessen ist: mehr Komfort oder mehr Zurückhaltung gegenüber der Natur. Band 2 liefert dann eine wertvolle Übersicht sämtlicher 569 ostalpinen Schutzhütten, die im Bereich der drei genannten Alpenvereine in den letzten eineinhalb Jahrhunderten gebaut worden sind. Schönes, nützliches Werk!

In der zugehörigen neuen Ausstellung im Alpinen Museum auf der Münchner Praterinsel stehen gegenüber den Stationen in Innsbruck und Bozen deutsche Hütten im Vordergrund, alte und ganz junge. So erhielt, um ein Beispiel zu nennen, die Fiderepasshütte der Sektion Oberstdorf am Eingang des Mindelheimer Klettersteigs 2013 einen zurückhaltenden Relaunch, indem Architekt Rainer Schmid die 40 Schlafplätze elegant unter die Terrasse verlegte. Im Garten des Alpinen Museums wurde andererseits vor Kurzem die jüngst unter der Zugspitze abgebaute Höllentalangerhütte von 1894 (“Ur-Hölle”) originalgetreu wieder aufgebaut – eine Dokumentation von Geschichte. Nicht mehr vorhandene Konstruktionselemente sind mit Eisen materiell abgesetzt, um strukturelle Eingriffe klarzumachen. Die Einrichtung – Stühle, Bänke, ein Tisch, Bettenlager für zehn Personen – wurde dagegen in der ursprünglichen Form neu geschreinert, was sich im helleren Holzton ausdrückt. Nebenan im Museum sind Modelle der Hütten, Fotografien, Gemälde, Möbel und Gebrauchsgerät zu sehen, sie schlagen den Bogen von der kargen frühen Unterkunft um 1870 zu den heutigen “Berghotels”.              Alexander Hosch

Hoch hinaus! Wege und Hütten in den Alpen, 2 Bände, 674 Seiten. Herausgegeben von DAV, ÖAV und AVS, Böhlau Verlag, 49,90 €, ISBN 978-3-412-50203-4. Sonderausgabe für Alpenvereinsmitglieder im DAV Shop und im Alpinen Museum: 34,90 €

Die gleichnamige Ausstellung im Alpinen Museum dauert bis 8. April 2018. https://www.alpenverein.de/Kultur/